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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte und des Marineobservatoriums — 58. Band, Nr. 3
32. Die Eisverhältnisse von Hapsal.
Zwischen den Inseln Ösel, Dagö und Worms einerseits und dem estländischen Festlande erstreckt sich der
Moon Sund, eine flache, strömungsarme See mit buchtenreicher Festlandsküste. An dieser Küste liegt Hapsal,
dessen Eisverhältnisse sich hinsichtlich Dauer und Beschaffenheit ähnlich denen von Pernau gestalten. Es kann
hier also vergleichsweise auf die dort gegebene Beschreibung verwiesen werden.
Vorherrschend ist bei weitem starkes Festeis, das ohne Störungen anhält. Nur selten treten Vorperioden
auf, Nacheisperioden fehlen gänzlich. Die Vorperioden lagen so früh, daß nach einem voraufgegangenen warmen
Spätsommer die ersten frühwinterlichen Frostperioden zwar eiswirksam wurden, aber doch noch keine dauernde
Eisbedeckung schaffen konnten. Der nach einer solchen Eisvorperiode eintretende Mangel an stärkerem Frost im
Winter 1924/25 bedingte dann eine anormal lange eisfreie Zeit mitten im Winter, der eigentlich erst mit dem
27. Februar einsetzte und dann eine kurze, aber zu normaler Zeit aufhörende Vereisung hervorrief. Der zweite
extrem milde Winter 1929/30 besaß keine Eisvorperiode, so daß hier die Hauptvereisung spät begann. Schließlich
ist als dritter besonders milder Winter noch der von 1932/33 zu erwähnen, der mit einer wenige Tage umfassen
den kurzen Vorperiode Mitte Dezember begann, dessen Hauptvereisung aber danach erst Mitte Januar auftrat.
— In allen diesen Extremfällen ist die nebenher erfolgte Eisreife des Wassers daran erkennbar, daß die spät ein
setzenden Hauptvereisungen durchweg sehr intensiv einsetzten, daß schon nach drei bis vier Tagen die Eisdecke
bis zum Horizont reicht und fahrbar ist.
Die Vorperioden bestehen ebenso wie die Hauptvereisungen fast ausschließlich aus Festeis, das überhaupt
vorherrscht. Treibeis ist zu Beginn der Vereisung nur in wenigen Wintern, zum Schluß dagegen öfters, wenn auch
nur kurz während, angetroffen worden.
Die Schwankung des Eisbeginns ist wie auch bei den anderen Stationen größer als die der Enteisung.
Auffallend bei Hapsal ist die Tatsache, daß sich die Schwankungen gegen Ende der 12jährigen Beobachtungs
periode verringern. Einen Schluß auf eine weitspannige Klimaschwankung darauf aufzubauen, wäre zu gewagt.
Die Verringerung der Schwankungsdifferenz besteht nicht nur in einer Verlängerung der milden Winter, sondern
ebenfalls in einer Verkürzung der normalen Winter, wenngleich letztere geringer zu sein scheint. In diesem Sinne
ist es wesentlich, festzustellen, daß der kürzeste Winter mit nur 58 Tagen mit Eis 1924/25 gefolgt wurde von dem
strengsten mit 165 Eistagen. Der letztere W 7 inter, 1925/26, wies gleichzeitig den frühesten Eisbeginn überhaupt
auf, nämlich den 19. November. Dabei bestand der Eisbeginn bereits in Treibeis- und Festeisbildung, die konti
nuierlich anhielt, im Gegensatz zu den Vorperioden dieses Winters in dem ebenfalls kontinental beeinflußten
Pernau. Daß aber die Tragfähigkeit zunächst hartnäckig gering blieb, bezeugt den Zufallscharakter dieser extrem
frühen Eisbildung. Die günstigen Nebenumstände ermöglichten ein ungestörtes Fortbestehen der Eisdecke, selbst
wenn die Konvektion in den tieferen Wasserschichten noch nicht so unmittelbar beendet war, als der eiswirksame
Frost auftrat. Das Stadium der Eisreife, d. h. der Umschichtung der gesamten Wassermenge in die thermische
Winterlage, scheint mit dem Tage erreicht zu sein, als sowohl horizontale Ausdehnung wie auch die Tragfähigkeit
sprunghaft zunehmen (1. Dezember). Wenn konstanter Frost auf eine noch nicht homogenisierte Wassermenge
einwirkt, kann sich verfrühte Eisbildung entwickeln, unter der die Homogenisierung der nächstfolgenden Schichten
fortschreitet, und die sich nur unter der ununterbrochenen direkten Wirkung der Frostgrade erhalten kann. So
bald der Frost vor Beendung der Homogenisierung aufhört, löst sich das dünne Eis relativ rasch auf, und zwar
von unten her: das Ergebnis wäre dann eine jener häufiger auftretenden Vorperioden in der Zeit von November
bis Anfang Dezember. Zu diesen zuletzt genannten Fällen zählen die Vorperioden in Hapsal in den Wintern
1924/25, 1930/31, 1932/33 und 1934/35.
Die Geschwindigkeit der Zu- und Abnahme der Stärke ist zu Beginn der Vereisung fast ebenso groß wie zum
Schluß. Auch bei der Enteisung treten sprunghafte Veränderungen der Eisstärke auf, wie z. B. im Winter 1925/
26, als noch am 24. April das Eis sich bis zum Horizont erstreckte und fahrbar war, am 25. nur mehr gangbar
war, am 27. bereits offenes Wasser am Horizont stand und am 2. Mai alles Eis verschwunden war. Der Eisgang
umfaßte also in diesem Falle nur 8 Tage. Das ist sehr kurz, besonders wenn man die große Intensität dieses Eis
winters im Auge behält. Da auch der Zeitpunkt nicht so extrem spät war, daß man der starken Insolation allein
die Schuld beimessen könnte (drei andere Winter enteisten zur gleichen Zeit in etwas längerem Zeitraum), müssen
ausschließlich intensive Warmluftadvektionen die Enteisung derart beschleunigt haben. Freilich ist bei den Beob
achtungen über die Tragfähigkeit die Einschränkung zu machen, daß das Eis naturgemäß ungleichmäßig ist und
die Stärke auf geringe Entfernung wechselt. Der Idealfall einer völlig gleichmäßig gewachsenen, gleichstarken
Eisdecke ist praktisch nie erreicht. Darum ist gegenüber den Daten der Stärkeänderung ein gewisser Vorbehalt
angebracht. Mir ist nicht bekannt, inwieweit die Angaben über die Tragfähigkeit auf mehreren Messungen be