Dr. Joachim Blüthgen: Die Eisverhältnisse des Finnischen und Rigaischen Meerbusens
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kein Einschnitt festgestellt werden kann. Da sich dieser Einschnitt unabhängig sowohl von dem Beginn der Ver
eisung sowie von ihrem Charakter den Hochwinter über ausbildet, müssen dafür regelmäßig jedes Jahr auftretende
Einflüsse angenommen werden, die vielleicht in der Einstrahlungssumme gesucht werden können. Alle anderen
Wettererscheinungen und hydrographischen Faktoren sind Schwankungen unterworfen, die größer sind als die, die
die Bewölkung bei der Einstrahlung hervorruft. Jedoch ist die beschriebene Erscheinung im südlichen Seegebiet
nicht mehr anzutreffen.
Die späteste Enteisung fand am 10. Mai 1926 statt, aber noch in drei anderen Wintern trat im Mai noch
Eis auf. 1923/24 reichte sogar das Festeis bis zum 4. Mai. Dies dürfte aber, auch nach dem soeben Gesagten,
eine Ausnahme darstellen auf Grund ganz besonders zusammenwirkender Einflüsse.
Unter Berücksichtigung der sehr leicht zu erreichenden Eisreife der Gewässer bei Worms ist die große
Lücke in der Vereisung 1924/25 zwischen der ersten Eisperiode Anfang Dezember und der Hauptvereisung, die
Ende Februar begann, nur durch abnorme Witterungsverhältnisse zu erklären, die eben keinen zur Eisbildung aus
reichenden Frost mit sich brachten. Daß die Eisreife vorhanden sein mußte, zeigt die frühe erste Eisperiode,
daß andererseits tatsächlich kein nennenswerter Frost in der Folgezeit auftrat, beweisen die entsprechenden Dia
gramme der anderen Stationen für das gleiche Jahr, wo unter den verschiedensten Voraussetzungen hydrographi
scher und topographischer Art überall die gleiche Eisarmut herrschte. Schließlich erbringen die Temperatur
kurven den abschließenden direkten Beweis dafür. Das Beispiel zeigt jedoch, wie man allein durch vergleichende
Betrachtung der Eisdiagramme auch zu zutreffenden Schlüssen auf die Witterung gelangen kann.
29. Die Eisverhältnisse von Worms-S (estn. Ber.).
Das Meeresgebiet südlich der Insel Worms, zwischen Dagö und dem estnischen Festlande, ist flach, aber,
wie sich aus den Eisdiagrammen auch ergeben wird, nicht ohne Strömungen. Gegenüber dem an der Küste ge
legenen Hapsal ist es im Klima wesentlich maritimer. Die Eisverhältnisse zeigen einen unregelmäßigen Charakter,
der sich besonders in der Beschaffenheit des Eises äußert. Eine Mittelbildung gibt unzuverlässige Werte.
Bei den Schwankungen in Eisbeginn und Enteisung ist festzustellen, daß auch hier die gleichen Jahre wie
z. B. in Pernau und Hapsal als milde Winter herausspringen, und zwar in der gleichen Reihenfolge, derart, daß
der extremste milde Winter 1924/25 war und der von 1932/33 sich bereits den normalen Verhältnissen näherte.
Auf der anderen Seite aber ist eine Milderung der normalen und strengen Winter in den letzten Beobachtungs
jahren nicht festzustellen. Der Winter von 1933/34 wies sogar den absolut frühesten Beginn der ganzen 12jährigen
Periode auf (23. November). Die am spätesten -beginnenden Winter waren auch die, die am ehesten enteisten.
Der Unterschied gegenüber den normalen oder strengen Wintern ist aber bei der Enteisung wie auch andernorts
nicht so groß. Während zwischen frühester und spätester Eisbildung immerhin ein Zeitraum von 112 Tagen liegt,
die Extreme des 23. November und 14. März verbindend, beträgt der Unterschied zwischen den Extremen der Ent
eisung (8. April bzw. 13. Mai) nur 35 Tage. Der Unterschied in den Extremen der Enteisung hat aber gegenüber
Hapsal eine Zunahme erfahren, die besagt, daß das Beobachtungsgebiet wechselhaftere Eisverhältnisse besitzt als
das unmittelbare Küstengebiet.
Die Vereisung beginnt auch in den an sich normal verlaufenden Jahren mit großen Schwankungen. Die
Eisbildung setzt in allen Fällen mit Treibeis ein, Festeis tritt jedoch ziemlich rasch auf und hält sich wenigstens
in einem Küstengürtel den Winter über. In dieser Tatsache allein drückt sich die küstennahe und geschützte Lage
des südlichen Seegebietes von W T orms aus, die in ihrer Begünstigung unterstützt wird durch den kontinentalen
Klimaeinfluß von Osten.
In den meisten Wintern dehnt sich das Eis im Laufe des Winters bis zum Horizont aus. Diese Perioden
sind aber wechselhaft. Teils umfassen sie innerhalb einer Treibeisperiode nur wenige Tage, teils bilden sie den
Kern der Vereisung überhaupt, in den milden Wintern 1924/25 und 1929/30 besaß das Eis in keinem Falle eine
solche Ausdehnung, dagegen mehrfach in dem noch sehr kurzen Winter 1932/33. Letzterer Winter wies damit
sogar eine größere Intensität der Eisbildung auf als der viel längere folgende Winter. In Tagen ausgedrückt er
gibt sich für 1932/33 Festeis bis zum Horizont an 41 Tagen bei 90 Tagen Gesamtdauer, für 1933/34 dagegen
Festeis bis zum Horizont nur an 29 Tagen bei einer Gesamtdauer von 153 Tagen. Berücksichtigt man die hori
zontale Ausdehnung des Festeises als Test für die Strenge eines Winters, so sind die Winter 1923/24, 1925/26
und 1930/31 als strenge Winter anzusprechen, hinsichtlich der Länge allein sind außer diesen noch die Winter
1927/28 und 1933/34 zu erwähnen.
So unregelmäßig wie das Auftreten weit ausgedehnten Festeises ist auch das Auftreten des Treibeises.