Käthe Ulrich: Die Morphologie des Roten Kliffs auf Sylt
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Lehmschutthang entsteht eine wesentliche Abnahme der Transportkraft erst beim Übergang des Kliff-Fußes zum
Strand, einerseits durch die plötzliche Neigungsänderung, andererseits durch die Porosität des Strandsandes. Das
W asser sickert dort sofort ein und verstopft die Poren des Sandes durch das mitgeführte Lehmmaterial. So ent
steht ein rasches dünnschichtiges Vorwachsen der Schwemmkegel über die durch die Verstopfung der Poren
undurchlässig gemachten Stellen hinaus. Hat sich eine Rinne durch den Lehm hindurch bis in den Kaolinsand
eingeschnitten, so sickert ein Teil des abfließenden Wassers schon in ihrem unteren Teil ein und erreicht nicht
den Strand. Dadurch wird die Ausbildung der Schwemmkegel abgeschwächt. Für die Rinnenteile im Kaolin
sand ist die Auffüllung mit einem Strom kleiner bis mittelgroßer Geschiebe charakteristisch. Sie entsteht durch
den Anschnitt der geröllreichen oberen Zone der äolisch geschichteten Sande unmittelbar unterhalb der Moräne.
Die Transportkraft des Wassers reicht nicht aus, um die ausgewaschenen Gerolle bis auf den Strand zu be
fördern. Das Einsickern des Wassers in der Sandzone des Kliffs zeigt sich besonders eindrucksvoll an einem
glatten neuangeschnittenen Kaolinsand-Vorkliff, das sich durch seine helle, fast weiße Farbe auszeichnet. Nach
einem Regenguß ist häufig die ganze Fläche des Vorkliffs mit einer dünnen Lehmschicht überzogen, die durch
das Einsickern des Wassers abgesetzt wurde.
Derartige Lehmverschmierungen sind vor allem im Sommer zu beobachten. Im Winter wird die Kruste
durch den Frost (s. u.) oder durch Brandungsangriff zerstört.
In niederschlagslosen Perioden mit starker Insolation (also vor allem im Sommer) bildet sich auf dem
Geschiebelehm eine Trockenkruste aus (Übergang des Tones vom Zustand des Kolloids in den Zustand des Gels),
wahrscheinlich begünstigt durch die austrocknende Wirkung des Windes. Die Austrocknung der Kruste ist schon
nach kurzer Insolationszeit an der Farbänderung der Kliffoberfläche erkennbar. Die Tonteilchen nehmen im
trockenen Zustand eine grauweiße Farbe an, und so prägt sich der verschiedene Tongehalt der beiden am Kliff
vorhandenen Lchmarten durch den Grad der Helligkeit ihrer Trockenkruste aus. (Die Oberfläche der Badland-
Formen wird nahezu weiß durch die Austrocknung.) Setzt nach einer längeren Trockenperiode heftiger Regen
ein, so ist eine Verschärfung der Hangzerfurchung zu beobachten. Daraus erklärt sich die größere Schärfe der
Formen im Sommer, die wahrscheinlich auch mit der Heftigkeit der sommerlichen Gewitterregen zusammenhängt.
Im Winter verhütet die starke Luftfeuchte bei geringer Insolation (wenig „heitere Tage“ und sehr
verkürzte Insolationszeit) die stärkere Austrocknung des Kliffs. Daher wirken sich Frostperioden stets sofort aus
durch ein — zuerst nur oberflächliches — Gefrieren der Kliff-„Haut“, die dann abzublättern beginnt. Das Ab
springen der hartgefrorenen äußeren Lehmblättchen geschieht mit hörbarem Geräusch. Der abgeblätterte Schutt
sammelt sich in den Regenrillen und verwischt die Kleinformen des Hanges.
Stärkerer Frost läßt dann im alten flacheren Hang netzförmig verzweigte Risse entstehen, die im grauen
Lehmmaterial nur einzeln, dagegen im braunen stärker verwitterten Lehm gehäuft Vorkommen.
Ist das Kliff durch den Brandungsangriff versteilt, so kann es zu größeren Abbrüchen durch den Spalten
frost kommen. An Steilhängen fehlen Frostrisse. Sie treten aber durchgängig auf der Kliffterrasse in einer vom
Kliffrand ausgehenden 2 m breiten Zone auf und zeigen die häufig zum Abrutsch größerer Gesteinsbrocken
führende Zerklüftung des Lehmmaterials an.
Unmittelbar nach dem Eintritt von Tauwetter verschwinden die Frostrisse. In mehreren Fällen konnten
dann an der Kliffkante Absackungen vorspringender Lehmsäulen beobachtet werden, deren Oberfläche etwas ein
gesenkt wurde, jedoch ohne Riß mit der Terrasse im Zusammenhang blieb. Es scheint, als seien die durch solche
Absackungen infolge des Spaltenfrostes bedingten Vertiefungen in der Kliffoberkante in vielen Fällen die Aus
gangspunkte für das Entstehen der Regenschluchten (s. S. 23).
Selbst wenn durch die Wirkung des Frostes keine größeren Abbrüche verursacht werden, ist die von ihm
angerichtete Zerstörung bedeutend durch eine außerordentliche Schwächung des Gesteinszusammenhaltes. Beim
Einsetzen von Tauwetter zeigt sich die Auflockerung des Lehms durch eine starke Aufweichung, die es stellen
weise zu einem Abfließen des auf getauten Schuttes kommen läßt.
Die Frostzerstörung arbeitet dem Brandungsangriff vor. So richten im allgemeinen Sturmfluten nach
längeren Frostperioden mehr Schaden an als diejenigen vor dem Einsetzen des Frostes.
Die unmittelbare morphologische Wirkung des Windes am Kliff ist schwer in den Ausmaßen feststellbar.
Bei auflandigen Stürmen konzentriert sich die Windwirkung auf den oberen steilsten Teil des Hanges. Dort ist
der W'inddruck dann allerdings so heftig, daß die Deflation sicher mitbestimmend ist für die glatte Oberfläche
des oberen Kliffteiles. Ein solcher länger der Windwirkung ausgesetzter Steilhang ist leicht zu unterscheiden von
dem viel weniger glatten Abbruchshang. Es wurde schon erwähnt, daß der Wind außerdem mitbeteiligt ist bei
der Herausbildung einer Trockenkruste auf der Kliffoberfläche.
Die Wirkung der klimatischen Faktoren auf das Kliff läßt sich nach ihrem stärksten Auftreten in einer
jährlichen Periode zusammenfassen:
Schärfste Herausbildung der Regenformen im Sommer und Herbst. (Verstärkte Insolation im Wechsel
mit heftigen Gewitterregen oder Regenböen bei Sturm.)
Abschwemmungen und Frostzerstörungen im Winter. (Anhaltende Durchfeuchtung des Lehmmaterials
— kurze Insolationszeit — Frost.)