Käthe Ulrich: Die Morphologie des Roten Kliffs auf Sylt
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starken Stürmen im Februar und im Oktober 1935 wurde dort die Vordüne nicht beschädigt, weil der Strand hoch
genug war, um die Wellen genügend weit flach auslaufen zu lassen.
Nicht in jedem Jahre kommen besonders verheerende Sturmfluten vor. Die letzte derartige Sturmflut vor
der im Oktober dieses Jahres beobachteten war im November 1928. Nach den Berichten der Sylter Einwohner
waren damals die Gegend bei Kliff ende und bei der Wenningstedter Treppe der Brandung am stärksten ausge
setzt. Also gerade diejenigen Gebiete, die sich heute durch ihre Ruhelage und durch ihren stark erhöhten Strand
auszeichnen. Damit dürfte ein weiteres Beispiel gegeben sein für eine tatsächliche Verschiebung der Haupt
angriffspunkte.
Die Entwicklung der Formen im einzelnen,
a) Das Kliff.
Die Entwicklung des Formenschatzes am Kliff vollzieht sich zwischen je zwei zerstörenden Sturmfluten. Es
war ein gücklicher Umstand, daß das Kliff am Anfang der Beobachtungszeit verhältnismäßig „alt“ war und dann
nach den vorbereitenden Sturmfluten im Oktober 1934 und im Verlauf des Jahres 1935 bis zum verheerenden
Abbruch im Oktober 1935 kam. So konnte gerade ein markanter Punkt in der morphologischen Periode des Kliffs
beobachtet werden, nämlich die Umwandlung des alten durch atmosphärische Einflüsse durchformten Hanges
(s. Кар. VI, S. 12 f.) in einen von der Brandung geschaffenen „jugendlichen“ Steilhang mit teilweise vorgelagertem
Schutt.
Nur bei Sturmflut erreicht die Brandung das Kliff und auch dann nur in den unteren Teilen. Durch den
Anprall und vor allen Dingen durch die Saugwirkung der zurückfließenden Welle wird der Kliff-Fuß zurück
gearbeitet. Handelt es sich um ein lange nicht von der Brandung angegriffenes Gebiet des Kliffs, so reicht nur
selten die Kraft einer einzigen Sturmflut aus, um den verflachten Hang in der ganzen Höhe zu versteilen. In
der Regel wird zunächst nur die Vordüne angeschnitten. Bei fortschreitender Zerstörung bildet sich dann am
Hang ein Vorkliff durch den Anschnitt der alten Schuttbedeckung, das erst nach mehrmaligem Brandungsangriff
so weit zurückgearbeitet wird, daß das Kliff bis zur Oberkante gleichmäßig versteilt ist (Vorkliff s. Bild 3).
Solange das Vorkliff niedrig ist, wird es in seiner ganzen Höhe von der Brandung erreicht und ange
schnitten. Wächst es durch das Zurückschneiden über die unmittelbare Reichweite der Wellenwirkung hinaus,
so wird nur der untere Teil jeweils ausgewaschen und das darüberliegende Material, das dadurch seines Haltes
beraubt wird, stürzt nach. Brandungsanschnitt im Geschiebelehm erzeugt einen rissigen, etwas wulstigen Steilhang
durch das Absacken der durchfeuchteten Teile nach dem Abfließen der angreifenden Welle. Der Kaolinsand
wird durch Brandungsangriff in einem glatten Steilhang angeschnitten (Bild 8).
Der Abbruch der oberen Kliffteile über dem ausgewaschenen Kliff-Fuß geschieht stets sofort nach dem Ent
stehen eines unteren Hohlraumes, so daß eine Ausbildung von Hohlkehlen nicht vorkommt.
Der vollständige Abbruch des Kliffs ist von seiner Höhe unabhängig. Das Auswaschen der unteren Sande j
bewirkt selbst im höchsten Kliffteil (der gleichzeitig das Gebiet größter Mächtigkeit der Moräne ist) den sofortigen
Abbruch alles darüberliegenden Materials. Doch ist in diesem Gebiet die Menge des abgebrochenen Schuttes
bedeutend größer als in den niedrigeren Teilen des Kliffs. Ein Teil des Schuttes wird stets noch von derjenigen
Sturmflut, die den Abbruch bewirkte, abgetragen. Dabei zeigt es sich, daß der Lehmschutt dem Abtransport
durch die Brandung einen viel größeren Widerstand entgegensetzt als der Kaolinsandschutt, der sich nur unter
einer Lehmdecke oder durch eine Vermischung mit Lehm hält. Da im Gebiet zwischen den Buhnen 37 und 28
sowohl die absolute Menge des Schuttes als auch der Anteil des Lehmschuttes sehr viel größer ist als in dem
südlich anschließenden Gebiet, so ist die Primärform des neuangeschnittenen Kliffs dort stets ein oberer steiler
Abbruchshang mit unten vorgelagertem Schutt, während im Süden auch die Ausbildung eines Steilhanges ohne
Schutt vorkommt (vgl. die Bilder 1 und 8).
Das Ausmaß der Abbrüche ist im wesentlichen abhängig von der Beschaffenheit der unmittelbar oberhalb
des Strandes anstehenden Kliffschichten. Für das Zurückweichen des Kliffs ist es verhängnisvoll, daß gerade
seine empfindlichste Schicht, der Kaolinsand, durch die Brandung ausgewaschen wird und so das Maß des Ab
bruchs bestimmt.
Selten vollzieht sich ein Abbruch gleichzeitig in größerer Längserstreckung. Es bilden sich jeweils weite,
leicht ausgewölbte Abrißnischen, durch deren Aneinanderreihung dann ein ausgedehnter Abbruchshang entstehen
kann. Die seitlichen Ränder der aneinandergrenzenden Nischen prägen sich durch unbedeutende Vorsprünge der
Steilwand aus (Bild 9). So ist auch die Kliffkante nicht geradlinig. Ihre durch das Abreißen der vorderen Lehm
brocken bedingte Entstehung erklärt die ausgezackten Vorsprünge und Einbuchtungen ihres Verlaufes, die dann
durch atmosphärische Einflüsse noch verschärft werden können (Bild 10).
Die Brandungsangriffe bestimmen im allgemeinen nur die Großform des Kliffhanges. Doch kommt auch
vereinzelt die Ausräumung kleiner Nischen im Kliff-Fuß vor. Nach den Sturmfluten im Februar 1935 konnten
mehrere solcher Brandungsnischen von 2 bis 8 m Horizontalausdehnung beobachtet werden, meist genau oberhalb
der Buhnenwurzeln. Die Entstehung der Nischen ist in diesem Fall auf die bei der damaligen Flachheit des
Strandes freiliegenden Buhnenwurzeln, die Strudelbildungen verursachen, zurückzuführen. Doch auch zwischen
den Buhnen kamen Brandungsnischen vor, deren Entstehung wahrscheinlich bedingt war durch Strudelwirkungen