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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte - - 56. Band, Nr. 3
begann erst mit der allmählichen Aufschließung des Wattgebiets. Die sich den Inseln nähernden Stromsysteme
schufen erst die Reeden, in denen die Schiffe der damaligen Zeit Schutz fanden und ankern konnten. Die Be
siedlung der Inseln durch Bauern ist jedenfalls die ältere, wie aus den uralten, noch altgermanischen Mark
rechten z. B. auf Ameland 122 und Borkum 123 hervorgeht. Im besonderen waren sie Viehzüchter; der Ackerbau
diente nur der Bedarfsdeckung. Die weitberühmte Pferdezucht wurde stets mit Leidenschaft betrieben.
Auf Terschelling, Ameland, Schiermonnikoog und Borkum wurde, hier früher und dort später, die Zeit
vorherrschender Landwirtschaft, vergesellt mit geringer Handelsschiffahrt, die für Ein- und Ausfuhr der Insel
sorgte, abgelöst von einer Zeit, in der die Fischerei sehr hervortrat. Es treten größere Schifferflotten auf; die
Amelander und Schiermonnikooger liegen hauptsächlich dem Schollenfang ob. Später wendet man sich dem
Schellfisch- und Kabeljaufang zu. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts spaltet sich die Entwicklung der
Schiffahrt. Die einen gehen folgerichtig mit ihren größer werdenden Fahrzeugen vom Kabeljaufang zum Wal
fang vor Grönland über. Auf Ameland und Borkum mahnen noch heute Umzäunungen von Walknochen an diese
Zeit. Die anderen wenden sich der Handelsschiffahrt, vor allem der „Kleinen Oost“ in die deutsche Bucht und
in die Ostsee hinein und der großen Fahrt, zu. Die Amsterdamer Reeder holten sich ihre Kapitäne und Steuer
leute besonders gern von den Inseln.
Der Grund für diese Umstellung ist jedoch nicht in der aufgeblühten Seefahrt der Niederlande zu suchen; deren
Beginn liegt eine geraume Zeit früher. Vielmehr ist es der Rückgang des Fischfanges in der Nähe der Inseln, der
die Küstenfischer eine andere Beschäftigung suchen läßt. Auf Schiermonnikoog verstärkt sich diese Bewegung
durch den Verlust des gesamten Kulturlandes im 18. Jahrhundert. 1787 werden 82 auf der Insel beheimatete
Schiffe gezählt, von denen nur noch 34 zum Fischfang benutzt werden. In Nes gab es in derselben Zeit allein
80 Kapitäne und mehr als 50 dort beheimatete Fahrzeuge.
Interessant ist es, wie die soziale Struktur der Bevölkerung sich schnell den Veränderungen ihrer Umwelt
anpaßt. War anfänglich Hollum das wichtigste Hafendorf auf Ameland gewesen, so änderte sich das, als Ende
des 18. Jahrhunderts Nes durch die sich nähernde Balge einen guten Hafen erhielt. Die Bevölkerung wurde für
die großen Landverluste reich entschädigt durch den Umsatz der vielen, dort nun anlegenden Schiffe. Zwei
Brauereien, mehrere Gastwirtschaften und Weinhändler zeugen von der Verwandlung des Bauerndorfes. Dieser
Entwicklung, die bei allen friesischen Inseln ähnlich verlief, wurde durch die Maßnahmen der französischen
Kontinentalsperre ein Ende bereitet. Borkums Schiffe wurden 1806 beschlagnahmt; die westfriesischen Schiffer
gaben mehr und mehr ihre eigenen Schiffe auf und fuhren auf Rechnung anderer 124 . Damit setzt die Verarmung
der Inseln ein, die sich am besten an der Entwicklung der Bevölkerungszahlen zeigen läßt.
1787
1. 1.
1856
1.1.
1890
1.1.
1910
1.7.
1933*
Hollum
> 1000
—
—
1029
893 Einwohner
Ballum
300
—
—
261
236
Nes
800
—
—
576
522
Buren
(250)**
—
—
286
308
zusammen
2400
2295
2246
2152
1959 Einwohner
* nach Mitteilung des Gemeindesekretärs Visscher, Nes.
** berechnet.
War der Rückgang bei dem neben der Schiffahrt immer noch stark landwirtschaftlich bestimmten Ameland noch
langsam, so beschleunigte er sich auf Schiermonnikoog und Borkum, die zu jener Zeit nur mehr einen geringen
landwirtschaftlichen Einschlag aufwiesen. Schiermonnikoog hatte 1787 noch rund 1200 Einwohner, 1835 noch
950, am 1. Januar 1847 noch 901 und 1929 noch 730 Einwohner. Borkum hatte Ende des 18. Jahrhunderts noch
rund 1000, 1864 nur mehr rund 500 Einwohner.
Bisher w T aren auf den Inseln weite Ländereien besten Kleilandes kaum ausgenutzt schutzlos der Zerstörung
preisgegeben und nur kleinere Teile mit Sodendeichen umgeben, die fast bei jeder Sturmflut brachen. 1860 wurde
darum auf Schiermonnikoog der Banokspolder eingedeicht, der 430 ha Land erst wirklich kulturfähig machte.
Seine Erweiterung nach O würde auch das z. T. sebr fruchtbare Land der Delle zwischen Kooi- und Steinsduinen
der Bewirtschaftung frei machen. Erst im Frühjahr 1913 wurde auf Ameland mit dem Bau eines Deiches begon
nen, der, von den Tonneduinen bis zu den Zwanewaterduinen reichend, die Hollumer und Ballumer Außenländer
der intensiven Bewirtschaftung zugänglich machte. Nach 1924 wurde der Deich bis zu dem östlichen Ende der
Kooikerduinen weitergeführt.
Die jüngste Wirtschaftsentwicklung der ostfriesischen Inseln zu Badeorten hat sich auf den westfriesischen
Inseln verhältnismäßig wenig ausgewirkt. Wohl hat Nes einen bedeutenden Badeverkehr; doch wohnt der Groß
teil der Gäste nicht in Pensionen, sondern in vermietbaren Holzhäuschen. Die Aufhebung der Seefahrtsschule
auf Schiermonnikoog, von der ein großer Teil der Bevölkerung lebte, wird dort das Schwergewicht noch stärker
122 Houwinlt, Nr. 55.
123 Nicolai, in Arends, Nr. 5, Bd. I, S. 320.
124 Heute gibt es nur 1—2 kleinere Küstenfahrzeuge auf jeder Insel.