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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 56. Band, Nr. 3
Jahre 1880 genau verfolgen läßt (Karte 20, T. 5). Durch Küstenversetzung wird langsam der Ostflügel der Insel mit
seiner HWL und NWL ostwärts ausgezogen. Das Flutwasser, das von NW einströmt und nach SW und W um
den Ostflügel herumbiegt, wird dadurch gezwungen, einen immer weiteren Weg zurückzulegen. Das in seiner
Erosionskraft wesentlich kräftigere Ebbwasser kann sich im Sandwatt, dessen Konsistenz gegenüber dem harten
Sand des Nordstrandes viel weicher ist, dem Spiel der Kräfte bald wieder anpassen und sucht bei fortschreiten
der Ausbildung des Oststrandes mehr und mehr, den kürzesten Weg einzuschlagen. Die Oberläufe der einzelnen
Arme des Tiefs nehmen zuerst einen süd-nördlichen Lauf, werden dann vom verlängerten Oststrand aufgefangen
und ostwärts abgelenkt. Allmählich nähert sich der nördlichste Arm immer mehr dem Südufer der Insel und
beginnt den Abbruch des Inselufers an der Stelle, an der er zuerst aufstößt und abgelenkt wird. Das pflegt bei
Ameland die SW-Ecke der Oerderduinen zu sein. Die Aufprallstelle und damit der Abbruch verlagern sich dann
allmählich mit der Stromrichtung nach 0. Dadurch wird das abfließende Wasser weiterer Arme in diese Richtung
gezogen, der Oststrand wird bis auf den schmalen, südlich von der Strömung herumgezogenen Haken des Strand
walles ausgehöhlt, bis auch dieser Haken der Entwicklung zum Opfer fällt. Damit ist das Gat durch die Arbeit
des Ebbstromes wieder 1—2 km nach W zurückverlegt, während der Strand oft um den gleichen Betrag ab
genommen hat. Das alles scheint sich ziemlich regelmäßig in einem Zeitraum von ungefähr 18 Jahren abzu
spielen. Praktisch ist es in den letzten Jahrzehnten folgendermaßen vor sich gegangen: In den 70er und 80er
Jahren des vorigen Jahrhunderts näherte sich dem Oerder Südufer rasch eine Balge, die viel Schaden verursachte.
1887 war die Entwicklung soweit abgelaufen, daß der Pfahl XXIV am Ostende der Insel fortgespült wurde. 1893
wird berichtet (Verslagen), daß die Balge vor den Pfählen XXV—XXVII (das ist das Oerder Südufer) zu
geschlickt ist. 1898 war der Ostflügel schon wieder so weit gewachsen, daß ein neuer Pfahl XXIV gesetzt werden
konnte, der 1905 im Ablauf der nächsten Perioden erneut verschwand. Bis 1910 folgte eine kleine Verlängerung
des Ostflügels; danach nahm er jedoch weiter ab. Seit 1918 begann wieder eine Periode der Ausdehnung des
Ostflügels, die noch nicht ganz abgeschlossen ist. 1934 war er in noch nie beobachteter Ausdehnung mit seiner
HWL bis zu einem Punkte 2,25 km östlich Pfahl XXIV angewachsen. Schon macht sich aber der Anfang der
Wendung bemerkbar. Seit 1930 etwa beginnt die Balge südlich der Oerderduinen sich schnell zu nähern und
in wenigen Jahren wird vermutlich der östliche Anwuchs des Ostflügels wieder abgetragen sein.
Die vor der Mündung des Boorndiep in einem nach NW weisenden Halbkreis von W nach 0 wandernden
Sandbänke landen auf dem Boomriff, wo sie „Strandruggen“ genannt werden. Sie schieben sich nun allmählich
auf die NW-Spitze Amelands als Riffe zu, wobei sich vor ihrem steil abfallenden SO-Hang mit zunehmender
Annäherung ein Strandgat bildet, das sogenannte NW-Gat. Dieses vor dem Riff hergetriebene Gat kommt bei fort
schreitender Entwicklung dem NW-Strand immer näher und trägt ihn in zunehmendem Maße ab, so daß direkt
durch Kliffbildung oder indirekt durch Zerstörung der für die Erhaltung der Dünen notwendigen Materialbasis
auch die NW-Dünen Schaden erleiden. Schließlich landet das Riff und schafft einen neuen, breiten NW-Strand,
der eine Zunahme des Dünenfußes erlaubt. Auch das NW’-Gat verschwindet dadurch wieder. Im einzelnen ist
dieser Vorgang, der allen friesischen Inseln gemein ist, trefflich von Krüger beschrieben worden.
Je mehr sich die Entwicklung der Stromsysteme im Watt hinter Ameland dem bereits erwähnten Gleich
gewichtszustand nähert, um so mehr besteht die Möglichkeit, daß auch eine Ostwanderung Amelands sichtbar
werden wird. Denn auch die Ostwanderung der Inseln muß neben der Ostwanderung der Sande und Riffe als
Ausfluß des Ostwärtsdrängens der Stromsysteme angesehen werden.
2. Das Gebiet der Scholbalg und der Lauwers.
Eine Darstellung des Wattengebietes nördlich der Lauwerszee läßt sich bei unserer geringen Kenntnis
dieses Raumes auf jenem Gebiet nur in großen Umrissen geben. Von holländischer Seite ist zunächst die Frage
angepackt worden, ob sich das Lauwersgat in alten Zeiten östlich oder westlich Schiermonnikoogs befunden hat.
Dem entstandenen Streit lag die Tatsache zugrunde, daß das kleine Flüßchen Lauwers 91 , das sich in den Mooren
um Surhuisterveen sammelt, zwischen Friesland und dem Groningerland von altersher die Grenze bildete. Das
Reitdiep, die alte Hunse, nimmt südöstlich Zoutkamps die Lauwers auf und vereinigt sich nördlich der Blik Plaat
in der Lauwerszee mit der Dokkumer Ee. Da sie heute gemeinsam westlich Schiermonnikoogs durch das Friessche
Gat münden, bezeichnet S t r a t i n g h 92 die Insel als groningisch, während Bum a 93 an Hand zahlreicher alter
Karten nachweist, daß schon immer das Gat östlich des Simonszandes den Namen „De Lauwers“ trug, die Insel
also seit jeher friesisches Gebiet sei.
Von deutscher Seite hat Jessen 94 eine Entwicklungsgeschichte der Lauwerszee und der angrenzenden
Gebiete gegeben, die in manchem einer Nachprüfung bedarf. Er geht von der Vorstellung aus, daß Dokkumer
Ee und Lauwers-Hunse zwei ursprünglich getrennte, selbständige Gewässer gewesen seien, die westlich und östlich
der Insel das Meer erreicht hätten. Zwischen ihnen hätte sich ein Landrücken von Nieuwkruisland über die Blik
91 „Lagbeki“, Foerstemann, Altdeutsches Namenbuch.
92 Nr. 96.
93 Nr. 31.
94 Nr. 56, S. 56 bis 64.