Gerhard Isbary: Das Inselgebiet von Ameland bis Rottumeroog
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Gang noch einige Male. Er hielt den Weg für so fest, daß er mit Pferd und Wagen passierbar sei. Diese Ansicht
ließ in verschiedenen Kreisen die Hoffnung aufkommen, daß nun die Zeit gekommen sein müßte, wo man Ame
land wieder mit dem Festland verbinden könne. Der Bau eines Dammes wurde geplant, und man war der Meinung,
daß sich bald auf dem baren Sand zu beiden Seiten des Dammes fetter Klei absetzen würde, der wiederum das
Eindeichen der ersten fruchtbaren (und gewinnbringenden) Polder gestatten würde. 1873 begann eine Gesell
schaft tatsächlich den Bau eines Dammes. Man hatte die Schwierigkeiten, wie das Durchdämmen einiger Priele,
jedoch unterschätzt. Die Gesellschaft büßte bald ihr Kapital ein und mußte erst regierungsseitig zur Innehaltung
des Vertrages gezwungen werden. Der fertiggestellte Damm erwies sich aber schnell als zu schwach und zu niedrig
gebaut. Schon 1881 wurden ernste Lücken durch das überströmende Wasser gerissen. Das durch die engen
Lücken strömende Wasser wirkte nun erst recht unterspülend und ausgrabend. Da die Gesellschaft unfähig war,
die Unterhaltungskosten zu übernehmen, sah sich der Staat gezwungen, die Unterhaltung selbst in die Hand zu
nehmen. Bald mußte er aber die Nutzlosigkeit der sehr kostspieligen Arbeiten einsehen, die bei der verfehlten
Anlage des Dammes nicht wirksam werden konnten. Dabei blieb die erhoffte Anschlickung im 0 der Damm
wurzel hei Holwerd aus; dagegen wurde damit die schon geringe Schiffahrt über das Friesische Watt durch den
Dammbau gänzlich lahmgelegt. Der Holwerder Anleger und die Buurder Reede sind heute die letzten Zeugen
dieses fehlgeschlagenen Versuches. Da der Verlauf des Dammes die ungefähre Lage der Wattwasserscheide für das
Jahr 1873 gibt, die oben erwähnte gut 1 km weiter westlich lag, die heutige aber rund 2 km ostwärts anzusetzen
ist, muß festgestellt werden, daß das zum Amelander Gat gehörende Stromsystem seinen Wirkungsbereich noch
gegenwärtig weiter nach 0 verlegt.
Zusammenfassend gilt für die Watten und Stromsysteme im Raume von Terschelling und Ameland. daß
zwei Hauptstadien der Entwicklung zu unterscheiden sind: Die Zeit der Überströmung und Auflösung der
Zwischenzone und damit allgemein ihre Einbeziehung in den Wirkungsbereich der Gezeitenströmungen des
Meeres, und in der Folge der Überströmung die Ausbildung der von mannigfachen Kräften abhängigen Strom
systeme in den Watten. Die Angleichung an jene Kräfte ging allmählich vor sich und dauert in diesem Gebiet
bis zum heutigen Tag. Der Stand der Entwicklung bei den einzelnen Inseln ist je nach ihrer eigenen Lage in der
friesischen Inselkette und damit ihrer Ausgesetztheit den hier wirkenden Kräften gegenüber verschieden weit vor
geschritten. Die Unterläufe der alten Flüsse sind bei ihrer Entwicklung zu Tiefs, die nicht mehr mit der Ent
wässerung des Festlandes Zusammenhängen, sondern nur von den Gezeitenströmungen des offenen Meeres ab-
hängen, allmählich nach 0 in eine Richtung gedreht worden, die in ihrem Verlauf der Küste und den Inseln
mehr oder weniger parallel ist. Die Drehung des Tiefs ist dabei nicht als ein langsames Verschieben der Ufer
nordostwärts vorzustellen; vielmehr gestaltet das Tief einen bereits vorher angelegten nordöstlichen Nebenarm,
der den herrschenden Bedingungen mehr entspricht, zum Hauptarm um. So geschah es bei der Drehung des zum
Amelander Gat gehörenden Tiefs, oder bei der Stromverlegung aus der Ouden Zuidoost-Meep zur nordöstlich an
gelegten Nieuwen Zuidoost-Meep.
Der heutige Zustand des Watts hinter Ameland ist folgender: Durch das Amelander Gat dringt das schmale,
aber 12 bis 16 m tiefe Boorndiep (auch „Boerdiep“ auf Karten des 17. Jahrhunderts) in das Watt hinter Ameland
ein, dessen größten Teil es mit seinen Nebenarmen unter Wasser setzt und wieder entwässert. In seinem Ober
lauf, dem Dantzichgat, erreicht es fast, der Küste parallel laufend, den Anleger von Holwerd, dem Ausgangs
punkt des Fährdienstes nach Nes. Das Dantzichgat empfängt als wichtigsten Nebenarm von rechts das Kikkertgat,
das anfänglich ostwestlich läuft, dann nach SW umbiegt und vom oberen Dantzichgat durch die Piet Scheveplaat
getrennt ist. Der zweite wichtige Nebenarm, ebenfalls von rechts, ist das Gat, das in seinem ost-westlichen Ver
lauf, der sich leicht in die Ballumer Bucht einbiegt, Brandgat und in seinem wiederum nach SW umbiegenden
Teil Molengat genannt wird. Es ist vom Kikkertgat durch die Molen- und die Kikkertplaat getrennt. Das Boorn
diep teilt sich vor seiner Mündung in das Westgat und das Ost- oder Akkepollengat, die von der Kofmansbult
geschieden werden. Vom NW-Strand Amelands ausgehend wird das Boorndiep vom Boornriff begleitet, das sich
sichelförmig nach NW über 8 km in die See hinauszieht. Es besteht aus hartem Sand und fällt zum Boorndiep
steil ab. Für die Schiffahrt ist das Tief heute bedeutungslos. Kein geschützter Hafen befindet sich in seinem
Einzugsbereich; Harlingen ist über die hohen Watten zwischen Terschelling und dem Festland nur hei Hoch
wasser mit flachen Küstenfahrzeugen erreichbar.
Um das Ostende Amelands legt sich hufeisenförmig das Tief des Pinkegat, das eine Reihe von Balgen im
Raume südlich der Oerderduinen sammelt, anfänglich westöstlich verläuft und schließlich, an seinem rechten Ufer
von den weit ins Meer vorgeschobenen Bänken der Wierumer Gronden begleitet, in nordwestlicher Richtung in
die See führt. Auch dieses Tief hat seinen Hauptwirkungsbereich im Laufe der Zeit inselwärts verschoben und
den Klei südlich des Langewaterdurchbruches bis auf wenige Reste und den des Oerder-Inselkernes sogar völlig
abgetragen. Wenn die untergegangene Siedlung Oerd z. T. auch durch Übersandung verloren ging, die Ver
nichtung seiner Acker und Weiden geschah durch die sich nähernde Balge. 1825 war diese so weit herangerückt,
daß eine Sturmflut die Reste des verschütteten Dorfes wieder freilegte.
Neben der übergeordneten Bewegung des Strömsystems inselwärts ist noch eine andere, periodisch ab
laufende Bewegung erkennbar, die in ihren Wirkungen schon länger erschließbar und in einzelnen Phasen auf
älteren Karten nachzuweisen ist, sich aber erst seit dem Beginn jährlicher Vermessungen auf Ameland im