Gerhard Ishary: Das Inselgebiet von Ameland bis Rottumeroog
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durchgeführt werden konnten. Es wäre eine Auswertung deshalb nur möglich an Hand häufiger kartographischer
Aufnahmen des Gebietes, die den Stand der Pfähle enthalten. Sie standen jedoch nicht zur Verfügung. Immerhin
geht aus den wenigen brauchbaren Werten von 1916—1927 hervor, daß auf der Rottumerplaat für die
Ost- und Nordseite zwischen 1917 und 1926 eine Zeit stärkeren Rückweichens der NWL und HWL, für die West-
und Südseite verzögerten Voranschreitens der gleichen Linien lag. Die Lage des DF wurde hier, da die Dünen
bis auf einen kleinen Rest verschwunden waren, seit 1925 nicht mehr vermessen. Fast das gleiche gilt auch für
Rottumeroog : Zwischen 1918 und 1927 lag vor allem auf der Ostseite, aber auch auf der Südseite, eine Zeit
größerer Zunahme, während die Nord- und Westseite in ständiger, zeitlich ungegliederter Abnahme begriffen war.
Zurückblickend auf das über Ameland und Schiermonnikoog Ausgeführte ist es bemerkenswert, daß die
Veränderungen des Westkopfes bei den Inseln mit denen des Ostflügels in ihrem zeitlichen Rhythmus nahezu
völlig übereinstimmen (Karte 18, T. 5). In der Längserstreckung dehnen sich die Inseln aus und ziehen sich wieder
zusammen. Auf dem Nordstrand läuft eine Welle von Umrißveränderungen entlang 86 , die allerdings sehr viel
geringere Ausmaße hat, da sie sich quer zu der die Inseln bedingenden und beherrschenden W—O-Richtung be
wegt. Die außerdem noch stattfindende Ostwanderung Schiermonnikoogs bringt darüber hinaus nur gewisse Ab
wandlungen dieser Erscheinung. Sie ist als Auswirkung der oft beschriebenen Riffwanderung auf die Umrisse der
Inseln anzusehen. Es drängt sich nun die Frage auf, ob die Länge der Inseln und die Wanderung der Riffe in
einem festen Verhältnis zueinander stehen, ob die Periode, in der die geschilderte Wirkung eines Riffes vom äußer
sten W bis zum äußersten 0 einer Insel vor sich geht, in ihrer Dauer von der nun einmal gegebenen Länge einer
Insel bestimmt wird, oder ob nicht vielmehr die Länge der Insel, oder wie oben definiert, der Materialansammlung
im Schatten der Kräfte, auch von der Geschwindigkeit, mit der die Kurve der Umrißveränderung in dem be
treffenden Raum voranschreitet, abhängt. Diese Fragen, so wichtig sie für die Klärung des Begriffes der friesi
schen Inseln sind, werden sich erst beantworten lassen, wenn sämtliche Inseln auf diese Vorgänge hin eingehend
untersucht worden sind.
Gegenüber der Situation Amelands ergibt die Betrachtung Schiermonnikoogs, die von ähnlichen Be
obachtungen auf Borkum und Wangeroog gestützt wird, daß es ein wuchtiges Kennzeichen der bereits im Stadium
der Wanderung begriffenen Inseln ist, daß die Riffe nicht auf ihren Westköpfen, sondern weiter östlich auf dem
Nordstrand an der Stelle eines möglichen späteren Westkopfes landen. Dadurch wird dem alten Westkopf zum
großen Teil die Zufuhr neuen Materials entzogen. Die Folge ist, daß die Westköpfe immer weiter abgebrochen
werden, ohne sich erneuern zu können. Dadurch ist die Insel gezwungen, der nach 0 verschobenen Ausgleichs
zone der wirksamen Kräfte als ihrer optimalen Existenzzone zu folgen, d. h. „die Insel wandert“. Da aber die
heute wandernden Inseln einmal nachweislich vollausgebildete Dünenmuscheln trugen, deren Ausbildung jedoch
genügende Zufuhr des Aufbaustoffes, also Anlandung der Riffe vor dem Westkopf erforderten, müssen die heute
wandernden Inseln entweder zur Zeit der Ausbildung der Dünenmuscheln festgelegen haben, oder die Material
zufuhr hat die Zerstörung weit überwiegen können. Es haben demnach nach jener Zeit tiefgreifende Veränderun
gen stattgefunden, deren Ursachen in der Aufschließung der Watten durch die Wirkung der Gezeitenströmungen
und der Drehung ihrer Stromsysteme zu suchen sind. Diese Aufschließung braucht aber nicht Symptom einer
neuen Senkungsepoche der gesamtfriesischen Küste zu sein. Es liegt näher, an eine allmählich vor sich gehende,
noch immer nicht abgeschlossene, ja, auf den Inseln nach ihrer Lage im Raum und zu den gestaltenden Kräften
verschieden weit vorgeschrittene Ausbildung des durch frühere Senkung überfluteten und damit der Wirkung des
Gezeitenmeeres anheimgegebenen Gebietes zu denken.
IV. Die Watten und Gaten und ihre Stromsysteme.
I. Das Gebiet des Amelander Gat und des Pinkegat.
Obgleich Ameland in seiner Lage, solange sie sich überhaupt verfolgen läßt, im großen und ganzen unver
ändert blieb, und im wesentlichen nur eine bedeutende Verschmälerung der Insel festzustellen ist, ist die Gestal
tung der Ameland von den Nachbarinseln scheidenden Gaten und der Watten im Umkreis Amelands im Verlauf
einer näher zu beschreibenden Entwicklung den mannigfaltigsten Veränderungen unterworfen gewesen und noch
heute unterworfen.
Zu Beginn unserer Zeitrechnung bestand zwischen Terschelling und Ameland die Öffnung der Middelzee,
einer schlauchartigen Meeresbucht, die zur Zeit ihrer größten Ausdehnung durch ganz Friesland bis Boisward
reichte (Karte 19, T. 5). Durch diesen Einbruch, der zeitlich den Einbrüchen an der Vliemündung und Boome gleich
zustellen ist (nach von Dieren 87 beginnend um 300 v. Ghr.), ist ein Teil der verbindenden Zwischenzone
wieder aufgelöst und in Watten verwandelt worden. Lange noch nach jenem Einbruch muß Terschelling wie auch
Ameland in irgend einer Form mit dem Festland zusammengehangen haben, da eine direkte Verbindung der
Middelzee zur Vliemündung nicht bestand. Statt dessen hing die Middelzee mit der offenen See nicht nur durch
86 Krüger, Nr. 62, S. 587, hat für Wangeroog nachgewiesen, daß nur ein Teil des im W der Insel herangekommenen Riffs
sich hoch auf den Strand legt. Der größere Teil des Sandes wandert als Unterwasserriff, eine Vertiefung vor sich hertreibend, an
der Insel vorbei. Sie verschmälert dabei den Strand, und es entstehen die kennzeichnenden Strandrinnen.
87 Nr. 38, S. 62.