Gerhard Isbary: Das Inselgebiet von Ameland bis Rottumeroog
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bedingenden Kräfte die Überhand bekommt, sei es das Mündungsgebiet eines der Ströme, sei es ein nach O drehen
des Stromsystem, dann wird auf die Dauer kein noch so kunstvolles Bauwerk des Menschen den Untergang der
Insel abwehren können 81 . Wenn unter einer Insel ein im Kern festliegendes, von allen Seiten von Wasser um
gebenes Land verstanden wird, dann gilt diese Bezeichnung nur bedingt für die friesischen Inseln. So wenig wie
die Watten Land oder Meer sind, so wenig sind die wandernden friesischen Inseln echte Inseln. Mit den Watten
und ihren Stromsystemen zusammen gehören sie zu den Formen des Grenzgebietes einer Flachküste an einem von
Gezeiten bewegten Meer.
Zur zweiten Gruppe der Kräfte, die die Inseln unmittelbar in ihren Umrissen, mittelbar auch in ihren Formen
beeinflussen, gehört die Wanderung ihres Materials in Form von Bänken, Sanden und Riffen (auf den westfriesi
schen Inseln auch „bulten“ genannt) auf dem Vorstrand vor dem Nordstrand der Inseln von W—0 entlang.
Diese Wanderung des Sandes und ihre Wirkung auf den Strand hat Krüger 82 eingehend beschrieben. Gleich
zeitig verfügte er über das treffliche Kartenmaterial des Hafen- und Strombau-Ressorts der Marinewerft Wil
helmshaven, so daß es ihm möglich war, für Wangeroog die Entwicklung auch kartographisch in allen Einzel
heiten aufzuzeigen. Diese Möglichkeit ergab sich für die Inseln des Arbeitsgebietes leider nicht, da die große Zahl
schöner Kartenaufnahmen, die der Rijkswaterstaat auf Grund seiner jährlichen Vermessungen hergestellt hat, für
die Auswertung und Veröffentlichung nicht zugänglich waren. Bei den amtlichen Karten sind aber die zeitlichen)
Abstände ihrer erneuerten Herausgaben zu groß, um einen so kurzfristigen Vorgang erkennen zu lassen. Da
gegen konnte darstellerisch ein anderer Weg begangen werden. Auf den holländischen Inseln sind, von voraus
gegangenen Versuchen seit 1868 abgesehen, vom Rijkswaterstaat einheitlich seit 1880 Strandpfähle in Kilometer
abstand von SW über N nach SO gesetzt worden, um durch jährliche Vermessung der NWL, HWL und des DF die
Umrisse der Inseln genau kontrollieren zu können. Zwar sind wieder die originalen Ergebnisse dieser jährlichen
Aufnahmen, vor allem die Werte für jeden Pfahl gesondert, nicht zugänglich, doch sind in den „Verslagen aan
den Koning over de openbare Werken“, die seit 1880 jährlich über den Stand aller öffentlichen Werke berichten,
Gruppenwerte veröffentlicht, die ausreichen, um herangezogen zu werden. Die Pfähle der Westköpfe, der Nord
strande (bei einigen der Inseln, so bei Ameland, nach verschieden sich verhaltenden Strecken gegliedert), der
Ostflügel und der südöstlichen Ufer der Ostflügel sind jeweils zusammengefaßt unter dem Gesichtspunkt ähnlichen
Verhaltens; der Durchschnittswert der jährlichen Zu- oder Abnahme wird, mit Angabe der Extrema, veröffent
licht. Diese Zusammenfassung scheint bei erster Überlegung die Unterschiede der Entwicklung aufzuheben. Es
stellt sich jedoch bei näherer Betrachtung heraus, daß tatsächlich Zusammengehöriges vereinigt ist. In den Dia
grammen I und II konnten die gesonderten Werte der HWL, NWL und des DF, die durch die Angabe der Extrema
zu berechnen waren, vor den Pfählen I—IIIAm von 1880—1916 eingezeichnet werden. Sie stehen am Strand des
W'estkopfes, also des Inselteiles, der gerade auf kleinster Front zwei verschieden ansetzenden Kräftegruppen aus
gesetzt ist, den von NW angreifenden Winden, Wellen, Sturmfluten, Strandriffen und Sanden vor Pfahl III und dem
den SW der Insel benagenden Ebbstrom des Boorndieps vor Pfahl I. Hier zeigt es sich aber, daß gegenüber dem
Stande von 1880 Strand und Dünen vor I viel, vor II weniger absolut zugenommen, vor III aber überwiegend ab
genommen haben 83 . Doch relativ entsprechen sich ihre periodischen Zu- und Abnahmen völlig. Damit ist es ge
stattet, die Diagramme I—VI zu zeichnen und für die Betrachtung der Inselumrisse auszuwerten. Hierbei sind vor
sichtig die in den Verslagen angegebenen Sonderentwicklungen bei einzelnen Strandpfählen berücksichtigt und
herausgelöst worden.
Es lag nahe, die sich ergebenden Linien der Zu- und Abnahme auf ihre Gesetzmäßigkeit zu untersuchen.
Hatte doch Krüger 84 feststellen können, daß im Mittel alle sieben Jahre ein Riff den Strand von Wangeroog
erreicht. Da auch vor den westfriesischen Inseln die gleiche Sandwanderung, wie vor Wangeroog, und in gewissen
Zeiträumen anlandende Riffe beobachtet worden waren, mußten folglich auch hier Kurven der Zu- und Abnahme
auf den gezeichneten Diagrammen auftreten. Ein sorgfältiger Vergleich der 18 dargestellten Linien ergab, daß fh
der Tat Zu- und Abnahme in unscharf begrenzten, wenn auch nicht so kurzen Zeiträumen sich abwechselten; die
Zeitdauer einer Zu- oder Abnahmeperiode schwankt dabei zwischen 8 und 11 Jahren; das entspricht einer Sinuskurve
zwischen 16 und 22 Jahren. Im Durchschnitt ändert sich also alle 9 Jahre das Vorzeichen der Entwicklung. Es liegt
auf der Hand, daß die mannigfachen Einflüsse des natürlichen Vorganges selten der Linie, die die Veränderung
absoluter Werte in bezug auf das Ausgangsjahr darstellt, die gleichmäßige Form einer Sinuskurve geben. Oft be
deutet Stillstand bei langjähriger Abnahme den ansteigenden Sinusschenkel oder mehrere negative Unterbrechun
gen einer langwährenden Zunahme den absteigenden Schenkel. Die Tendenz der Entwicklung ist jedoch immer zu
erkennen.
Auf dem Diagramm VII ist versucht worden, den Kurvenverlauf aller einzelnen Pfahlgruppen, geordnet
nach deren Lage im Raum, nebeneinander zu stellen. Das sich ergebende Bild ist durch Heranziehen von Karten,
Berichten und einzelnen Angaben in den Verslagen überprüft worden. Es zeigt sich, daß ein Entwicklungsgang
81 Vgl. W. Behrmann, Nr. 16.
82 Nr. 62.
83 Die Pfähle IIAm und IlSch stehen gewissermaßen im toten Winkel zwischen zwei Empfindlichkeitszonen; darum zeigen
die Ausschläge besonders des DF keine allgemein charakteristische Form.
84 W. Krüger, in: Nr. 109, S. 190.