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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 56. Band, Nr. 3
gramm V), um die Jahrhundertwende und zwischen 1910 und 1920. Die ersten beiden Ketten, die nicht zu großer
Geschlossenheit und Höhe gelangten, sondern bald von der Entwicklung übersprungen wurden, finden ihre Ent
sprechung in der Kürze der ansteigenden Schenkel. Seit 1928 beginnt ein neuer ansteigender Schenkel. Dem seit
1933 entstehenden Vordünenfeld sind also möglicherweise wieder vernichtete Vordünenfelder vorausgegangen.
Wir gewinnen durch diese Betrachtungsweise eine Möglichkeit, den natürlichen Aufbau von Dünenketten
der letzten 50 Jahre zeitlich absolut zu klären. Jeder Anlage einer Dünenkette entspricht
eine vorher gelandete Sandbank und umgekehrt, jeder gelandeten Sandbank
muß zum mindesten eine Möglichkeit zum Aufbau einer neuen Dünenkette
entsprechen 29 . Weiter finden wir dadurch eine Erklärung für die verschiedenartige Ausbildung der ein
zelnen Ketten. Dem Techniker des Dünenbaues erleichtert sie die Entscheidung über die Frage, wo und wann die
Anlage künstlicher Sanddeiche Aussicht auf Bestand hat.
II. Die Dünen des Inselkerns.
1. Allgemeines.
Bisher sind jene Dünen beschrieben worden, die über die Entwicklungsstufe des Vordünenfeldes oder des
Urdünenfeldes in Form von Dünenketten dort ausgebildet werden, wo vom Wasser herbeigeführter und vom Wind
zusammengeblasener Sand unter der gemeinsamen Wirkung von Wasser, Wind und Vegetation stehen. Das ist bei
den älteren Dünengebieten des Inselkerns nur auf den der See zugewandten Seiten der Fall. Wir wollen sie als
primäre Dünen bezeichnen. Solange die drei sie bedingenden und gestaltenden Kräfte gleichmäßig an
ihrem Ausbau arbeiten, und das geschieht nur, wenn die Dünenkette die Funktion einer Außendüne besitzt, bleibt
sie in jugendlichem Zustande erhalten. Was eine hohe Flut oder ein heftiger Sturm wundgerissen hat, wird bald
von den gleichen Kräften wieder geschlossen. Sobald sich aber eine neue Kette vor die Außendüne legt, scheidet
die Wirkung des gleichmäßig anschneidenden Wassers aus, die Sandzufuhr hört auf und die Entkalkung der Düne,
der ein Vegetationswechsel folgt, schreitet schnell fort 30 . Nun beginnt die Ausreifung, die ßehrmann 31 am
Borkumer Beispiel beschrieben hat. Sie entspricht einer fortschreitenden Zerstörung, deren Ablauf durch mannig
fache Einflüsse verzögert oder beschleunigt werden kann. Die entstehenden Wunden können nicht mehr geschlossen
werden, sondern werden ständig vergrößert. Es stellen sich tiefe Windrisse, Umläufe und Mulden ein. Das aus
geblasene Material wird über den Kamm hinübergeweht. Die Kette löst sich in zahlreiche Haldendünen auf, die
bei fortschreitender Entwicklung in Kessel- oder Hohldünen übergehen. Die Ketten als Ganzes wandern jedoch
nicht, sondern nur ihr Material. Wenn die Verschiebung senkrecht zur Streichrichtung der Kette vor sich geht,
kann der binnenwärts verschobene Sand noch einige Zeit kettenartigen Zusammenhang behalten. Doch bald wird
der unregelmäßige Verlauf der Umrißlinien dieser umgewandelten Kette sichtbar, der auf die individuell ver
schiedene Ausgestaltung der einzelnen, zerstörten Kettenteile zurückzuführen ist. Dabei ist das ursprüngliche Lage
gebiet noch lange an einer Reihe von Kesselresten zu erkennen. R e i n k e 32 bezeichnet die drei bemerkenswertesten
Ausbildungsstadien als primär, sekundär und tertiär. Diese von den Vegetationsgruppen abgeleiteten Termini
scheinen uns wenig glücklich gewählt zu sein, da „tertiäre“ Dünen häufig in „sekundäre“ Dünen mit kräftigem
Helmwuchs übergehen. Anders als aus den Schwierigkeiten, die eine genaue Abgrenzung dieser Begriffe macht,
kann es sich nicht erklären, wenn R e i n k e von „sekundären“ Dünen von „20 und mehr Meter“ spricht. Wir haben
auf keiner der Inseln Außendünen, die bei vorhandener Sandzufuhr immer dem Helmdünenstadium entsprechen,
finden können, die auch nur annähernd diese Höhen erreichten. Derartige Höhen kommen nur im Gebiete um
gelagerter Dünen vor. Brau n 33 teilt wiederum die Dünen in Aufbau- und Zerstörungsformen ein. Dem kann
gleichfalls nicht beigepflichtet werden. Aufbau und Zerstörung stellen die Phasen der Reifung im Gebiet der
Dünenketten dar. Daneben steht aber die große Zahl der Einzelformen, die teils aus den zerstörten Ketten voll
kommen umgewandelt hervorgehen, teils aus ihrem Material neu entstehen. Wir wollen sie als sekundäre
Dünen zusammenfassen. Im Gegensatz zu den als Gemeinschaftsform angelegten, festliegenden primären Dünen
entstehen sie als wandernde Einzelformen im Kampfe des bewegenden Windes mit der befestigenden Pflanzendecke.
Kaum eine gleicht der andern, denn jede trägt Züge eines besonderen Schicksals. Die Dünenkessel werden häufig,
wenn die herrschende Windrichtung nicht senkrecht, sondern spitzwinklig oder wagerecht auf ein Dünengebiet
trifft, zu Kesselreihen erweitert, indem der leeseitig aufgeschüttete Sand nach kurzer Ruhepause von der Kessel
seite her erneut ausgeblasen wird. Dadurch wird der Sand in Dünenform gleichsam über die Fläche gerollt. Als
Zeugen bleiben zwei Reihen bewachsener, halbmondförmiger, aneinanderschließender, flacher Dünenzüge zurück,
die steil zu den Kesselböden abfallen. Jeder Kesselrand bezeichnet dann ein Ruhestadium der wandernden Düne.
Diese Kesselreihen, auf die B r a a k 34 schon aufmerksam machte, gehen oft bei heftiger Windtätigkeit, die der
Vegetation ein natürliches Schließen der Wunden und damit ein Ersticken der Bewegung nicht mehr ermöglicht,
in Parabeldünen über, die sich in ständiger Bewegung in Richtung einer Komponente der herrschenden Winde
verschieben. Hierbei werden der fließenden Fortbewegung entsprechend die Reste des jeweiligen seitlichen Dünen
fußes, der besser geschützt von dichterer Vegetation besiedelt ist, in mehr oder weniger zusammenhängenden,
29 Vgl. Windberg, Nr. 114, S. 57: „Die Existenz von Vorfelddünen ist bedingt durch die gleichzeitige Existenz einer vor
her herangekommenen Sandbank.“
so Vgl. van Dieren, Nr. 37, Jeswiet, Nr. 57, S. 120.
31 Nr. 14, S. 30 ff. 32 Nr. 86, S. 77 f. 33 Nr. 29, S. 169.
34 Nr. 28, S. 670.