Dr. Joachim Blüthgen: Die Eisverhältnisse des Bottnischen Meerbusens
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ein Wirkung sicher ist wie beim Küsteneisgürtel, gibt es nicht. Die Ursache dafür liegt in dreierlei begründet:
einmal fehlen dem Eis die festen Stützpunkte in Gestalt der Schären, so daß es auch an Dicke nicht so sehr zu
nehmen kann; zum andern bietet die sehr unebene Oberfläche dem Winde einen größeren Ansatzpunkt; zum
dritten ist die Beschaffenheit des Eises wegen der Beteiligung von Schneebrei sehr porös und demzufolge leicht
brüchig.
Das Aufreißen geschieht meist zuerst am Rande des Festeissaumes, wo sich eine dem Rande parallel ver
laufende Rinne bildet. Namentlich im Frühjahr, wenn Nordostwinde den Eisgang fördern, beginnt der Eisgang
mit der Bildung einer Rinne entlang dem Eissaume an der finnischen Küste. Von der Ausbildung der Eisverhält
nisse im Nordkvark hängt es dann ab, ob ein Abtreiben der Meereismassen nach Süden, stattfinden kann oder nicht.
Auflandiger Wind häuft das bewegliche Meereis am Festeisrande auf und verursacht starke Eispressungen
(Abb. 38). Es können so Packeiswälle von bis zu 12 m Höhe entstehen, die dann vielfach auf flachen Gründen
am Rande der Schärenhöfe festsitzen und lange in den Sommer hinein liegen bleiben.
Dies sind in großen Zügen die alljährlich wiederkehrenden Eisverhältnisse über dem Becken der Botten
wiek. Milde Winter lassen einen Teil der Bottenwiek eisfrei, bzw. kommt dann nur sporadisches Treibeis vor, das
nie zusammenfriert.
Windreiche Winter bedingen oft trotz starker Kälte leichtere Eisverhältnisse. In solchen Wintern bleibt
der Nordkvark offen und sogar vor Ulkokalla nahe der finnischen Seite der Bottenwiek tritt offenes Wasser auf.
Das Treibeis im Meere kann dann leicht südwärts treiben zu einem Zeitpunkt, wo sonst die Eisbrücke über den
Nordkvark noch jede Abdrift verhindert. Dies war z. B. nach den finnischen Berichten im Winter 1931/32 der Fall.
Wie wechselhaft die Eisbedeckung und die Beweglichkeit des Meereises sein können, geht auch aus folgen
den Beobachtungen aus dem Jahre 1926/27 hervor. Am 8. April zeigt sich an der Küste im Norden Finnlands
eine offene Rinne, tags darauf schließt sie sich, am 20. wieder offen, am 21. wieder geschlossen, am 23. 4. wieder
offen, am 28. 4. wieder geschlossen, und so weiter, je nach Wind und Strom. Noch am 13. Mai war sie wieder
geschlossen, während das Meereis endlich am 15. Mai bei Ostwind abtrieb. Später, wenn das Küsteneis sehr porös
ist und leicht zerbrochen wird, wird auch dieses ins Meer getrieben.
Das Treibeis hält sich noch sehr lange draußen im Meere, wo es je nach Wind und Strom umhergetrieben
wird und durch die stete Berührung mit anderem Wasser schmilzt. Während die Küsten schon längst endgültig
eisfrei geworden sind, treibt auf dem Meere noch Eis umher, oder auf den Gründen liegen Packeiswälle, die unter
dem Einfluß von Sonne und Wasser schmelzen und sich nur wegen ihrer meist sehr großen Mächtigkeit so lange
halten konnten. Eine Anschauung von den Dimensionen dieser „Eisberge“ gibt das Bild in Havsforskningsinst.
Skr. 28, S. 54, das einen Packeiswall auf dem Ritgrund nordöstlich vom Nordkvark darstellt. Der über Wasser
sichtbare Teil besitzt eine Höhe von rund 9 m, und dies noch am 23. Mai, während das Meer ringsum völlig eis
frei ist. Diese Eispressungen, die schwedisch „iskallar“ genannt werden, bleiben oft auf 10 bis 11 m tiefen Gründen
sitzen.
Die Bewegungen des Meereises entsprechen nicht völlig den Windresultanten, sondern werden durch Küsten-
und Festeisverlauf sowie Meeresströme mitbestimmt. Im Frühjahr ergibt sich eine allgemeine Südrichtung des
Treibeises entsprechend dem zu dieser Jahreszeit am stärksten entwickelten auswärts gehenden Strom entlang der
schwedischen Küste. Jurwa (Havsforskningsinst. Skr. 23) stellte für den Winter 1919/20 fest, was man als all
gemeingültig betrachten kann: „havsisarnas rörelser motsvarade under vintern sälunda endast tidtals och ställvis
vindcns riktning; rörelsens avvikelsen bestämdes av kustens allmänna riktning, av fastistäckets utsträckning samt
av rädande havsströmmar“.
Es ist keine seltene Erscheinung, daß sich noch Ende Juni, ja sogar Anfang Juli, Treibeis auf dem Meere
befindet, abgesehen von festsitzenden Packeisresten. Namentlich in schweren Eiswintern mit starker Eisbildung
auch auf dem Meere tritt Treibeis noch sehr spät auf. Es wurde bei Besprechung der Küsteneisdecke der Botten
wiek bereits erwähnt, unter welchen Bedingungen es vornehmlich zu besonders langer Erhaltung von Eis auf dem
Meere kommt (vgl. II d 1).
Eine Mittelstellung zwischen dem eigentlichen Meeresgebiet der Bottenwiek und dem Schärengürtel nehmen
einige Außenschären ein, die während des Hochwinters noch von der Festeisdecke der Küste erreicht werden,
gegen Ende der Vereisung aber vollauf in den Bereich des marinen Treibeises gehören. Zu diesen Stationen
gehört auch Rödkallen (Abb. 22) am Rande des Schärenhofes von Lulea. Die Eisbelegung erfolgt zwar, später,
zeigt aber den Gang der Küstenvereisung. Der Eisgang dagegen zeigt, wie aus dem Diagramm hervorgeht, vor
nehmlich lang anhaltendes Treibeis, das hier am Rande des Schärengebietes bereits bis zum astronomischen
Mittsommer anhält, begünstigt durch östliche Winde.
Gegenüber den Eisverhältnissen der Küste ergibt sich also, daß die Vereisungsperiode der offenen See sich
zu Beginn wie zum Schluß erheblich verspätet, im ganzen aber kürzer währt, da der Einsatz etwa zwei Monate,
die Enteisung etwa einen Monat später erfolgt als an den Küstenplätzen. Der Charakter der Vereisung ist von
dem der Schärengebiete sehr verschieden; in dem Rande des Schärengebietes gegen die offene See muß man eine
Eisgrenze ersten Ranges erblicken, die auch nicht verwischt wird, wenn die Bottenwiek gänzlich zufriert, der
Unterschied bleibt auch dann bestehen.