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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 53. Band Nr. 6
I. Hauptteil.
Das Vorland.
Das Vorland zerfällt in drei Landschaftsteile. Diese unterscheiden sich scharf voneinander. Sie sollen in
Anlehnung an W. Wrage a) das Stillstandsvorland mit natürlicher und künstlicher Entwässerung, b) das
Abbruchsvorland mit natürlicher und künstlicher Entwässerung, c) das geschützte Vorland ohne Ent
wässerung genannt werden. In diesem Gebiet kann keine Trennung in ein Gebiet mit künstlicher oder na
türlicher Entwässerung vorgenommen werden, da beide Formen hier nebeneinander auftreten.
a) Das Stillstandsvorland mit natürlicher und künstlicher Entwässerung.
Das Stillstandsvorland wird im Norden vom Glückstädter Hafen, im Westen von der mittleren Hoch
wassergrenze der Elbe, im Süden vom Abbruchsvorland und im Osten vom Deich begrenzt. (Siehe Tafel 1).
Es zieht sich 2 km in süd-, südöstlicher Richtung an der Elbe hin.
Der Deich verfolgt von Glückstadt bis Herrenfeld dieselbe Richtung. Dann biegt er nach Süden ab,
nimmt aber bald wieder die alte Richtung ein. Bei Herrenfeld wird der Deich von einer Durchfahrt (Stöpe)
durchbrochen. Diese gibt den Anliegern die Möglichkeit, auch mit einem Gespann in das Vorland zu ge
langen. Unter Anliegern versteht man die Besitzer der Gehöfte und Katen, die direkt hinter dem Deich
liegen. Ihnen gehört das Vorland, das auf der anderen Seite des Deichs liegt und ebenso breit ist wie ihr
Grundstück. Die Durchfahrt ist an beiden Seiten des Durchschnitts mit Backsteinen befestigt. Bei Sturm
fluten wird sie durch zwei Reihen starker Bohlen oder Schotten, die in Rillen des Mauerwerks eingeführt
werden, abgeschlossen. Zwischen diese wird ein Gemisch von Erde und Mist geworfen und festgestampft.
So entsteht ein Verschluß der Durchfahrt, der dem Wasser einen sicheren Widerstand leistet. Die Bohlen
und die Erde liegen immer in greifbarer Nähe bereit, so daß sie bei jeder Sturmflut schnell zur Hand sind.
Vom Deich aus sehen wir ein breites dunkelgrünes Grasland vor uns liegen. Im Hintergrund wird dieses
von einem breiten Rethsaum begrenzt. Kein Baum, kein Strauch hindert unsern Blick, nur saftiggrüne
Marschweiden liegen vor uns. Die Weiden sind von geraden Grüppen durchschnitten. Diese teilen das Vor
land in lauter Rechtecke, die entweder senkrecht oder schräg zum Deich verlaufen. Dieses regelmäßige Bild
wird manchmal durch Priele gestört, die durch ihren Mäanderlauf große Einschnitte in den Rechtecken
bilden. Aus den sonst ebenen Wiesen erheben sich an einigen Stellen grünbewachsene Hügel. Das an sich
fast eintönige Landschaftsbild erhält erst durch die braunweißen Rinder und die weißen Schafe, die auf den
Weiden grasen, einen lebhafteren Charakter.
Im Winter bietet diese Landschaft einen trostlosen Anblick. Die Weiden sind von einer grauen
schmutzigen Schneeschicht bedeckt. In den Prielen liegen große, übereinandergeschobene Eisblöcke, die
mit einer grauen Schlammschicht überzogen sind. Kein Lebewesen ist im Vorland zu sehen. Hin und wieder
sieht man allerdings einen Hasen in eiligem Lauf über die Schneefelder dahinstreichen. Bei Sturmfluten
suchen auch Möven von der Nordsee hier Schutz. Hinter den Eisschollen und den noch vorhandenen Reth-
abschnitten hält sich die Wildente auf. Sie ist aber so scheu, daß man sie selten zu Gesicht bekommt. Der
einzige lebhafte und laute Bewohner ist um diese Zeit die Nebelkrähe, die im Vorland und im Watt Nahrung
sucht.
Im Frühling, wenn die Sturmfluten über unsere Landschaft dahinbrausen, erhält das Vorland ein anderes
Aussehen. Das Eis und die Schneedecke sind verschwunden, aber statt des Schnees bedeckt nun da, wo das
Wasser einen Stau durch Erhebungen oder kleine Vordeiche gefunden hat, eine dicke Deekenschicht das
Vorland. Unter Deeken versteht man ein Geschwemme von Rethwurzelstöcken, Rethhalmen, Binsen und
Holzstücken. Erst wenn die Sturmfluten vorüber sind und der Deeken von den Anliegern verbrannt worden
ist, wagt sich das Gras hervor. Ihm aber noch zuvor kommt die Gänseblume.
Beim Verlassen des Deiches fällt uns von den Teilformen der Landschaft zuerst die Anlage der Gräben
auf. Unser Gebiet durchziehen zwei Priele, die aber mit dem Hinterland nicht in Verbindung stehen.
(Siehe Tafel 1). Alle Gräben des Vorlands entwässern in diese Priele, die das Wasser dann in die Elbe leiten.
Unzählige, kleine Gräben durchziehen das Vorland. Sie sind sehr schmal und werden zur Unterscheidung
von den breiten Gräben „Grüppen“ genannt. Diese laufen meistens senkrecht zum Deich und entwässern
in Gräben, die parallel zum Deich angelegt sind. Die Entwässerung erfolgt immer zum Deich hin, da das
Vorland sich zur Elbe hin erhöht. Es liegt hier um 0,50—1,00 m höher als am Deich. Die Gräben münden in