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Ans dem Archiv der Deutschen Seewarte. — 53. Bd. Nr. 5
schiedes. Die an anderen Orten festgestellte größere Abhängigkeit des N.W. vom Wind 77 ) ist also nicht
zu verzeichnen gewesen. Auch diese Abweichung gegenüber den Schwankungen an der offenen Küste ist
darauf zurückzuführen, daß die Wasserstandsbewegung bei einem Ii.W. und dem darauffolgenden N.W. von
derselben eindringenden Flutwelle bestimmt wird.
Die Intensität der Windwirkung ist in Hamburg bedeutend größer als in allen bisher untersuchten
Orten. Die Ursache liegt in den geographischen und hydraulischen Verhältnissen. Die Unterelbe verläuft
annähernd parallel der Hauptachse der Nordsee und der Richtung der wirksamen Windkomponente. Die
deutsche Küste bildet den Abschluß des Nordseebeckens in der Hauptrichtung, so daß die wirksame Kompo
nente über die größtmögliche Streichlänge verfügt. Hamburg im besonderen erhält infolge der Ausbildung
des Flußschlauches trotz seiner Entfernung von der offenen See einen starken Flutschwall * 7S ), demgegenüber
der Oberwasserzufluß nur eine untergeordnete Bedeutung hat. Durch dieses ungehinderte Eindringen der
Flutwelle treten auch die Wirkungen des Windes ungeschwächt in Erscheinung.
Die Darstellung der Gesamtwirkung aller Einflüsse in den beiden Beziehungsgleichungen 72), 73) und
74), 75) ermöglicht es, in Zukunft den Stau im voraus zu berechnen. Dadurch werden die zu erwartenden
mittleren Abweichungen von rund 40 auf 17 cm herabgedrückt.
Eine Untersuchung der noch verbliebenen Abweichungen ergab eine Reihe von Verbesserungen der
Schätzungen, die durch Benutzung der beigegebenen Tafeln und Tabellen leicht vollzogen werden können.
Vergleicht man die Ergebnisse, die die Formeln 72) bis 75) liefern, mit den auf S. 9 erwähnten bis
herigen Schätzungen aus der Wetterkarte, so muß man berücksichtigen, daß die letzteren nicht in Zahlen
gegeben werden. Diese Voraussagen, die nur für den H.W.-Stand ermittelt werden, lauten auf: normal,
wenige (i. M. 15 cm), einige (i. M. 25 cm), mehrere Dezimeter (i. M. 35 cm), oder 1 /. 2 , 1, 1 1 / g usw. Meter
über bzw. unter M.H.W. Setzt man das M.H.W. zu -\- 2,15 m KN ein, so erhält man die in Tabelle 15
für den Januar 1931 verzeichneten abgerundeten Werte für den H.W.-Stau.
Zum Vergleich sind in der Tabelle außerdem die beobachteten Stauwerte, die Vorausberechnungen
nach der ausführlichen Gleichung 72), 73), der verkürzten Gleichung 74), 75) und nach derselben Gleichung,
aber unter der Voraussetzung eines nach einem Potenzgesetz wirkenden Windstaues durch Entnahme
der Werte aus Figur 13 (angepaßte Kurve) aufgeführt. Die jeweils der Wirklichkeit am nächsten kommen
den Angaben sind fett gedruckt. Die besten Voraussagen liefern demnach Gleichung 72), 73): 24 mal,
Gleichung 74), 75): 15 mal, dieselbe Gleichung unter Berücksichtigung der angepaßten Kurve ebenfalls 16 mal
und die bisherigen Schätzungen 8 mal.
Die Verbesserung, die auf Grund der ausgeführten Untersuchung möglich ist, ist aus diesem Ergebnis
ohne weiteres zu ersehen. Die zunächst merkwürdige Tatsache, daß die nach Fig. 13 berichtigte Glei
chung 74/75) keine größere Annäherung liefert, ist daraus zu erklären, daß die angepaßte Kurve nur für
das Jahr 1928 gezeichnet wurde, also gerade bei den hohen Wasserständen verhältnismäßig geringe
Häufigkeiten aufweist, und außerdem nur den paarweisen Zusammenhang ohne Ausschaltung der stören
den Einflüsse darstellt. Beschränkt man sich darauf, die Ausgleichskurve nur bei starkem Windstau zu
benutzen und sonst nach der geradlinigen Gleichung 74/75) zu rechnen, so erhält man eine größte Annähe
rung in 22 Fällen. Schaltet man weiter die Gleichung 72/73) überhaupt aus, so ergibt die Gleichung 74/75)
in der eben beschriebenen Anwendung in 48 von 60 Fällen (= 80 v. H.) die genauesten Resultate im Ver
gleich zu 12 Fällen der bisherigen Voraussagen (20 v. H.). Übergeht man umgekehrt Gleichung 74/75), so
stimmt Gleichung 72/73) in 47 Fällen gegenüber 13 der bisherigen Voraussagen am besten überein.
Wenn diese Zahlen auch nur ein ungefähres Bild geben, insofern als sie nur die Tatsache, aber nicht
den Grad der Annäherung bezeichnen, so läßt sich daraus doch entnehmen, daß erstens die verbesserte
Gleichung 74/75) und die Gleichung 72/73) im allgemeinen gleichwertig sind, wenn man sie ohne Rück
sicht auf die auf S. 60 geschilderten Umstände schematisch anwendet, und daß zweitens beide Gleichungen
die bisherigen Voraussagen an Genauigkeit übertreffen.
77 ) Vgl. Doodson, Verz. Nr. 15, und Proetel, H., Verz. Nr. 37 S. 22.
7S ) Der mittlere Tidenhub nimmt von Cuxhaven nach Hamburg (rund 100km Entfernung) nur von 280cm auf 217cm ab.