Edgar Schnitze: Die nichtperiodischen Einflüsse anf die Gezeiten der Elbe bei Hamburg
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Einleitung.
Die Entstehung der Wasserstände eines Gezeitenmeeres oder Tideflusses kann aufgefaßt werden als
Überlagerung des mittleren Wasserstandes durch die Gezeitenkurve. Dabei sind weder der mittlere
Wasserstand noch die Gezeitenkurve konstante Größen (Fig. 1).
Die meist sehr verwickelte Gezeitenbewegung ist ein rein periodischer Vorgang, der mittelbar oder
unmittelbar von der Standortsveränderuug von Sonne und Mond abhängt und infolgedessen mit der gleichen
astronomischen Genauigkeit vorausberechnet werden kann wie diese. Derartige Vorausberechnungen, die
für Zeit und Höhe des H. W. und N. W. aufgestellt werden, werden in Deutschland in den Gezeitentafeln
der Deutschen Seewarte jeweils für ein Jahr im voraus veröffentlicht und erstrecken sich auf alle Meeresgebiete.
Einer Vorausberechnung der Schwankungen des mittleren Wasserstandes steht die Schwierigkeit ent
gegen, daß es sich dabei um die Folge nichtperiodischer Einflüsse handelt, wie Wind und Luftdruck, zu
denen bei Tideflüssen noch die Oberwassermenge tritt. Immerhin lassen sich auch hier wenigstens kurz
fristige Voraussagen aufstellen, da zwischen Ursache und Wirkung ein Zeitunterschied von mehreren
Stunden verstreicht. Solche Voraussagen werden meist nach allgemeiner Erfahrung aus der Wetterkarte
abgeschätzt. Es entsteht nun die Frage, ob diese Schätzungen nicht auf Grund des vorliegenden Beob
achtungsmaterials durch Angabe von Formeln verbessert werden können.
Die Größenordnung dieser nichtperiodischen Schwankungen des mittleren W'asserspiegels ist an den
meisten Orten so beträchtlich, daß ein Interesse an ihrer näheren Untersuchung sowohl vom Standpunkt
des Wasserbauers, dessen Baugrubenumschließungen im Tidegebiet gewöhnlich nicht für den höchsten
überhaupt eingetretenen Wasserstand bemessen werden und daher gelegentlichen Überflutungen ausgesetzt
sind, wie auch vom Standpunkt der Schiffahrt und Vorflut besteht.
Besonders ausgeprägt sind die nichtperiodischen Schwankungen in solchen Tideflüssen, wo oberhalb
der Mündungsstrecke der Tidenhub abnimmt, ohne daß der Windstau sich entsprechend verringert. Das
ist in hervorragendem Maße in Hamburg der Fall. Während z. B. in Liverpool (enge Bucht) der mittlere
Tidenhub etwa 645 cm beträgt, erreicht dort die mittlere Abweichung zwischen dem Wert des Gezeiten
wasserstandes und dem beobachteten Wasserstand nur die Höhe von 18 cm. In London Bridge, etwa
60 km von der Mündung der Themse, betragen die gleichen Werte etwa 570 cm und 15 cm. In Hamburg,
rund 100 km vor der Mündung der Elbe, erreicht der mittlere Tidenhub nur die Höhe von 217 cm,
während die mittlere Abweichung auf 39 cm wächst. Wenngleich schon hiernach Hamburg den nicht
periodischen Schwankungen in besonderem Maße ausgesetzt erscheint, so ergibt sich ein richtiges Bild erst
aus den Grenzwerten dieser Ziffern. Das höchste Tiden-N.W. beläuft sich auf etwa 2,60 m, das geringste
Tiden-N.W. auf etwa —0,20 m K.N. Demgegenüber wurde in den Jahren 1925 bis 1929 ein Maximalstau
des M.W. von -j- 3,53 m und ein Minimalstau von — 2,56 m festgestellt. Danach bewegte sich der Stau
im Bereich von rd. 6,00 m gegenüber einer rein periodischen Bewegung in den Grenzen von rd. 3,00 m.
Der Zweck der vorliegenden Ai'beit ist, diese bedeutenden Schwankungen des mittleren Wasserspiegels
für den Pegel Hamburg-St. Pauli in bezug auf ihre Ursachen näher zu untersuchen, zunächst um ein Bild
von den stark ineinandergreifenden Vorgängen zu erhalten, die sich bei der Wasserstandsbewegung eines
Tideflusses abspielen, außerdem um eine Möglichkeit zu gewinnen, die Höhe der Schwankungen für eine
gewisse Zeit im voraus zu schätzen.
Die hierbei verwendete Methode ist eine statistische, da sich nur die Art, aber nicht die zahlen
mäßige Größe der Vorgänge auf theoretischem Wege ableiten läßt. Bei einer derartigen Untersuchung,
die aus dem Beobachtungsmaterial Gesetze herauszuarbeiten sucht, ergibt sich folgender Arbeitsgang: