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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte. — 52. Bd. Nr. 1.
VIII. Überwiegt der Einfluß eines Elementes, so erfolgt die Bewegung nach diesem im Sinne von
Satj I, Defant 16, II, S. 131. Diese Regel besagt eigentlich nur, daß die stärkere von zwei aktiven, in Be
wegung befindlichen Luftmassen für die Fortpflanzungsrichtung der Zyklone (bzw. des im Druckfeld vor
handenen Minimums) richtungbestimmend ist.
Eine besondere Klasse der Wetterregeln über Vertiefung, Ausfüllung und Fortpflanzungsrichtung der
wandernden Zyklonen (hier besser barometr. Minima) bilden die viel diskutierten Regeln von Guilbert.
Die bekanntesten hiervon sind die folgenden, von Großmann 25 und Defant 15, 16 zusammengefaßten
Regeln:
1. „Zu starke Winde auf der Vorderseite einer vom Ozean heranziehenden Depression halten den
Wirbel auf, während ein solcher sich innerhalb 24 oder schon 12 Stunden ausfüllt, wenn er allerseits von
zu starken Winden umgeben ist.“
Die vom Ozean vordringenden Störungen (bzw. ihre Warmluftmassen) werden in diesem Falle von
einem Gebirge oder einem „Kaltluftblock“ am Forlschreiten gehindert. Es kommt dadurch zu einer Be
schleunigung der voranliegenden, nur am Boden fortschreitenden kälteren Luftmassen, die häufig als
stürmische — also zu starke —• Winde in Erscheinung treten. Der zweite Teil der Regel beschreibt da
gegen die Verwirbelung einer Zyklone. Je schneller dabei der Zustrom — also die Strömung —- der aus
füllenden und anwachsenden Kaltluftmassen ist, umso rascher wird sich auch im Druckfeld das Minimum
ausfüllen.
2. „Zieht ein Wirbel mit starkem Barometerfall, aber schwachen Winden in seiner Umgebung heran,
so vertieft er sich und wächst sich häufig zu einem Sturmwirbel aus.“
Diese zweite Regel von Guilbert ist eine Beschreibung einer typischen, im Druckfeld durch starken
Barometerfall angedeuteten Neubildung, die mit schwachen Winden und starkem Drudsfall sich bis zum
Augenblick der Okklusion ihres Warmsektors vertieft, wobei aus den erst im europäischen Wetterkarten
bilde entstandenen Neubildungen (vgl. auch Moese und Schinze 33) nicht selten Sturmwirbcl sich
bilden können. Bei dieser Gelegenheit sei auch auf die von Niels Elsholm gegebene Regel hingewiesen,
die gleichfalls aus dem Isobarenfeld allein eine Zyklogenese beschreibt. Die Isobaren sind (in vielen
Fällen beim W-Typ) im südlichen Teile der Zyklone gedrängt, während sie im nördlichen Teile weit aus
einander gehen. Dies ist z. B. besonders bei den heftigsten Stürmen, die quer über Südschweden von
Westen nach Osten ziehen, der Fall.
3. „Eine Depression bewegt sich ferner nadi Guilbert nach dem Gebiet geringsten Widerstandes hin,
nämlich dorthin, wo die Winde im Vergleich mit dem Gradienten zu schwach sind oder wo überhaupt
leichte Winde wehen und wo divergente Winde herrschen.“
Auch hierbei handelt es sich, wie bei den meisten Guilbertschen Regeln, um Vertauschung von Ur
sache und Wirkung. Die von Guilbert als Normalwinde gewählten Windstärken betragen tatsächlich nur
etwa 50 % der dem Gradienten entsprechenden Gradientwindstärke bei stationärer Strömung (vgl. Sir
Napier Shaw 49, Forecastings-Weather, S. 317). Bei einer Zyklone, die soeben ihren Maximalgradienten
erreicht hat (Okklusions-Augenblick), kommen die am Erdboden beobachteten Windstärken dem Gradient
wind am nächsten, und infolgedessen sind sie im Sinne von Guilbert übernormal. Die Zyklone, die nun
mehr zu verwirbeln beginnt, wird durch das Anwachsen der Kaltluftmassen im Druckfelde eine zunehmende
Ausfüllung des Tiefdruckkernes aufweisen. Ursache ist dabei offenbar der durch die Kaltmasse bedingte
thermodynamische Druckanstieg, aber nicht wie Guilbert annimmt, die zu starken Winde, welche die
Depression umgeben. Aus rein orographischen Gründen kann ferner eine degenerierende, wandernde
Zyklone in gewissen Gebieten in ihrem Fortschreiten gehemmt werden und dadurch die Veranlassung zur
Ausbildung einer Zentralzyklone geben. Im Druckfeld wird dabei das Minimum (die Depression) mit der
Zeit durch Kaltluft ausgefüllt. Das Gebiet Grönland - Island - Jan Mayen wird dabei besonders bevorzugt,
und die Zentralzyklone ist unter dem Namen „Grönlandtief“ bzw. „Islandtief“ allgemein bekannt. Bei
sehr jungen, sich noch entwickelnden Zyklonen werden andererseits die Bodenwinde im allgemeinen
schwach sein. Bei schwachen Bodenwinden wird aber durch die Reibung an der Erdoberfläche die Ver