47
Gerhart Schinze: Die praktische Wetteranalyse.
Fall W2.
Die Abrollungslinie verläuft etwa parallel der französischen und deutschen Nordküste (Abb. 18) Sie
ist besonders effektiv im Frühling und Herbst, kann aber auch im Winter zu starken, z. T. gefährlichen
Neubildungen Veranlassung geben. Dabei muß jedoch Frankreich und Deutschland bei lebhafter WSW-
bis W-Strömung von möglichst frischen, auf kürzestem Wege von der Quelle nach Mitteleuropa gelangten
subtropischen Warmluftmassen überflutet werden. Das Hauptentstehungsgebiet der Störungszentren (Neu
bildungen) befindet sich südwestlich der Britischen Inseln etwa im Raume 45° bis 47° nördl. Breite und
15° westl. Länge. Die Störungszentren bzw. Zyklonen benu^en hierbei die Zugstraße IV und sind relativ
häufig die Ursache einer größeren Anzahl der mitteleuropäischen Stürme, die speziell der deutschen Küste
gefährlich werden können. Beim Fall W 2 wird im Winter durch die meist stärkere Westströmung die
Eigenkaltluftproduktion der mitteleuropäischen Gebirge nicht allzu ausschlaggebend in Erscheinung treten.
Besonders zu beachten ist jedoch, daß bei Fall W1 sowie natürlich auch bei einer größeren Zahl der
Fälle W 2 die Abrollungslinie (Schleifzone) sehr häufig im Temperaturfeld nur ganz undeutlich oder
überhaupt nicht am Erdboden erkennbar ist. Durch die Kaltluftproduktion der PAK-Kette und ihrer
Vorgebirge wird eine seichte Bodenkaltmasse erzeugt, die südlich der Abrollungslinie die TW vom
Boden abhebt. Auf der Morgenwetterkarte sind daher die TL-Eigenschaften nur in wenigen Elementen
(z. B. Hydrometeorenfeld und Wolkenfeld) noch erkennbar. Nördlich der Abrollungsfront (Trennungs
linie) haben andererseits die Kaltluftmassen in den untersten Schichten zum Teil durch direkte maritime
Beeinflussung eine am Boden höhere Temperatur, wie Stationen südlich der Frontalzone. Im günstigsten
Falle, so z. B. besonders in den Ubergangsjahreszeiten ist am Erdboden überhaupt kein Unterschied im
Temperaturfeld vorhanden, und gerade bei dieser Lage kommt es nicht selten zur Ausbildung von gefähr
lichen Schleifzonen mit langanhaltenden quasistationären Niederschlägen (vgl. Literatur über „Schleif
zonen“, Bergeron und Swoboda 3, Moese und Schinze 32 und Schreiber 58). In allen derartigen Fällen
sind die Höhenstationen und besonders die aerologischen Aufstiegsergebnisse von weitestgehender, ja aus
schlaggebender Bedeutung. Einen raschen Überblick über die vertikale Mächtigkeit der einzelnen Luft
massen und ihre charakteristischen ©'-Werte gewinnen wir auch hierbei besonders schnell aus dem im
Thetagramm dargestellten Höhenaufstiegen und den ©'-Werten der Bergstationen.
F a 11 W 3.
Schottland befindet sich bereits in der Kaltluftmasse, die Abrollungslinie (Abb. 19) erstreckt sich dann
über das südliche oder (häufiger) nördliche norwegische „Westland“ ostwärts zum Finnischen Meerbusen
(etwa analog der Bahn der van Bebber’schen Zugstraße II). Dieser Wettertyp ist die Ursache eines Teiles
der besonders für das norwegische Westland in ihren Auswirkungen gefährlichsten Neubildungen (vgl. hier
zu auch 0. Moese und G. Schinze 33). Außer dem Westland wird hierbei noch das Kanalgebiet und die
mitteleuropäische Nord- und Ostseeküste stärker beeinflußt, und schwere West- bis Nordwest-Stürme
pflegen häufig aufzutreten. Mitteleuropa befindet sich im Fall W 3 •— je nach der Ausbildung der Anti
zyklone — unter dem Einfluß der seichten kontinentalen Kaltluftmassen. Die Grenze zwischen der
Bodenkaltluftschicht, über die in der Höhe subtropische Warmluft fließt und der südlich der Abrollungs
linie am Boden ostwärts vordringenden Warmluft z. T. maritim-subpolare Warmluft, überwiegend jedoch
maritim-subtropische Warmluft), verläuft dann meist den Küsten entlang (Kanal — Hamburg — Memel).
Südlich dieser Trennungslinie herrscht dabei antizyklonales Wetter mit einer ausgeprägten morgendlichen
Bodeninversion. Diese Bodenkaltluftschieht wird daher in den langen Nächten zum Teil vom Gebirgs-
massiv (Pyrenäen — Alpen — Karpathen) Mitteleuropas produziert. Die Gebiete nördlich der Trennungs
linie dagegen stehen auch am Boden unter dem vollen Einfluß der Warmluftmassen. Das Entstehungs
gebiet der Neubildungen befindet sich etwas westlich von Schottland. Das Zentrum ihrer Störungen hzw.
Zyklonen benu^t etwa die van Bebber’sche Zugstraße II.