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Dr. Hans-Jürgen Bullig: Eine typische Großwetterlage und ihre prognostische Verwertbarkeit
Die Windverhältnisse sind den früheren Ergebnissen entsprechend. In der föhnreichen Gruppe ist
im Mai und Juni eine erhebliche Zunahme der südlichen Winde an allen vier Stationen als Folge des
Rückzugs des Azorenhochs zu verzeichnen, das durch seine Lage über Südwest- und Westeuropa in der
föhnarmen Gruppe vorwiegend nördliche bis westliche Winde bedingt, Die Zunahme der Südwinde wird
kompensiert durch eine Abnahme der nördlichen bis westlichen Winde.
Noch uneinheitlicher als im Mai und im Juni sind die Luftdruckverhältnisse in den föhnreichen und
föhnarmen Aprilmonaten. Der April stellt den Übergangsmonat zwischen der winterlichen und der
sommerlichen Luftdruckverteilung dar. Die Großwetterlage im Verlauf eines April-Monats ist nicht an
einen bestimmten Typ gebunden, wie es in den Wintermonaten der Fall ist, und zeigt infolge der ge
ringen Gradienten über Mitteleuropa keine Beharrungstendenz.
Zur Illustrierung seien zwei Aprilmonate mitgeteilt.
Der föhnarme Monat April 1894 wies zwischen zwei gut ausgebildeten Hochdruckgebieten über
den Azoren und über Rußland eine Tiefdruckmulde auf, die sich von einem bei Island liegenden Tiefdruck
gebiet in südöstlicher Richtung über Irland bis zur Adria erstreckte. Dagegen zeigte sich in dem
föhnreichen Monat April 1910 folgende Luftdruckverteilung: Das Azorenhoch war nach Nordosten
verschoben und sein Einflußbereich langte bis zu den Westalpen. Östlich der Alpen war eine schwache
Tiefdruckmulde ausgeprägt. Der April 1894 wies in Innsbruck eine Föhnhäufigkeit von nur 7 Föhnterminen
gegen 21 im Jahre 1910 auf (!), in Altdorf war das Verhältnis 4 zu 19, und doch zeigte der April 1894 in
der Luftdruckverteilung die typischen Merkmale eines föhnreichen und der April 1910 die eines föhn
armen Monats.
Wählt man aus den Monaten Juli und August die drei föhnreichsten und die drei föhnärmsten
aus, und errechnet die mittlere Föhnhäufigkeit im Durchschnitt der beiden Stationen, so erhält man fin
den Juli 3,8 und 0.5 FT und für August 4.8 und 0,3 FT. Es ist nicht möglich, von einem Föhnreichtum
zu sprechen, noch weniger wird es möglich sein, eine typische Luftdruckverteilung für die Föhnhäufigkeits
gruppen dieser Monate zu finden, nachdem dies bereits im Mai und Juni gescheitert ist.
Zusam m e n f a s s u n g.
Die Anomalien der Föhnhäufigkeit eines Monats prägen sich in der Luftdruckverteilung auch im
Monatsmittel in erheblichem Maße aus. Föhn entwickelt sich also nur bei einer ganz bestimmten Groß
wetterlage, bei ausgesprochenen und tiefgreifenden Abweichungen der Luftdruckverteilung von der Normal
verteilung. Stets wurde im Monatsmittel eine starke Druckanomalie des einen Vorzeichens auf dem
mittleren und südlichen Nordatlantischen Ozean und in West- und Mitteleuropa, die des entgegengesetzten
Vorzeichens über Rußland gefunden.
Eine positive Anomalie über Rußland bedeutet im Zusammenhang mit einer negativen über dem
Nordatlantischen Ozean. West- und Mitteleuropa ein Vordringen des zentralasiatischen Hochs nach Europa
und einen Rückzug des Azorenhochs. Als notwendig zur Entstehung großer Föhnaktivität zeigte sich
außer dieser Westverlagerung der beiden Aktionszentren und der Intensitätssteigerung des Russenhochs
aber noch regelmäßig ihre zunehmende Entfernung voneinander und die Zwischenlagerung einer Tief
druckmulde (bezw. ihre Vertiefung). Diese Bedingung wird dadurch erfüllt, daß in allen Monaten mit
Ausnahme des September 1 ) die negative Anomalie über dem Ozean absolut genommen bedeutend größer
ist als die positive über Rußland.
Eine negative Druckanomalie im Monatsmittel über Rußland und eine positive über dem Nordatlantischen
Ozean deutet auf Föhninaktivität eines Monats hin.
Die Druckanomalieu sind allgemein um so stärker, je kräftiger die allgemeine Zirkulation der Atmo
sphäre ist. Die stärksten Anomalien finden sich daher im Winter, die schwächsten im Sommer. Dies
zeigt anschaulich folgende Tabelle, in der für die föhnaktiven Gruppen der einzelnen Monate die Summe
des Absolutbetrages des Maximums der positiven und der negativen Anomalien (über Rußland bzw. dem
Nordatlantischen Ozean) gegeben ist:
9 Der Isobarenverlanf über Mittel- nnd Osteuropa ist im langjährigen Septembermittel ein östlicher. Zmn Anfban der
zur Föhnhäufigkeit notwendigen Tiefdrnekrinne ist eine starke positive Anomalie über Rußland, die die Wiedergeburt des
Knssenhochs im Herbst bedeutet, erforderlich.