R. Becker und G. H. Bau mann: Beiträge zur Meteorologie des Luftweges über Grönland.
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tungen gemacht. Im Mittelpunkt der Tätigkeit auf Grönland stand die Flugberatung für den Grönland
flug. Dazu gehörte unbedingt die Kenntnis des lokalen Wetters.
Wie jedes andere Festland wirkt das Grönlandmassiv ablenkend und hemmend auf Zugrichtung-
und -Geschwindigkeit von Tiefdruckgebieten — die mittlere Luftdruckverteilung und die Krümmung
der mittleren Zyklonenbahnen bei Kap Farewell lassen dies deutlich erkennen. Außerdem nimmt dieses
Land mit seinen ungeheuren Schneeflächen eine Sonderstellung ein. Der Schnee in seiner Eigenschaft
als Strahler bewirkt starke Abkühlung der unteren Luftschichten. Diese Kaltluftmasse bedeutet, sofern
sie nur mächtig genug ist, für Tiefdruckgebiete ein direktes Hindernis, weil Warmluftvorstöße durch sie
aufgelöst oder unwirksam werden, wenn deren Energie nicht groß genug ist, um die untere Kaltluft
vollkommen wegzuräumen. In allen Fällen aber wird ein den Grönland-Kontinent überquerendes Tief
druckgebiet geschwächt werden. Das bedeutet andererseits eine Verlangsamung seiner Zuggeschwindig
keit, ein Moment, das besonders nachteilig wirkt, da ungünstiges Wetter für längere Zeit über demselben
Gebiet herrscht. Über kalten Flächen in Auflösung begriffene Tiefs sind wegen der sich bildenden Nebel
viel hinderlicher als schnell vorüberziehende kräftige Wirbel. Das Aufgehaltenwerden ostwärts ziehender
Tiefdruckgebiete vor der Westküste konnte häufig festgestellt werden. Zusammenfassend läßt sich sagen,
daß durch den vereisten Kontinent Druckwellentäler geschwächt, Druckwellenberge dagegen gekräftigt
werden. Das ergibt ein Überwiegen hohen Druckes über dem Inlandeis, wie es den tatsächlichen Ver
hältnissen entspricht.
Die fliegerisch hinderlichen Begleiterscheinungen der sich über Grönland verlangsamenden, bzw.
auflösenden Tiefdruckgebiete wurden schon erwähnt; bei weitem häutiger sind Wetterlagen mit einem
widerstandsfähigen Hochdruckgebiet über dem Inlandeise, dem daselbst gekräftigten und gefestigten
Druckwellenberg. Man kann dafür den Ausdruck „glaziale Antizyklone“ gebrauchen. Diese Bezeichnungs
weise hat jedoch nur eine Berechtigung, wenn man darunter das nach gelegentlichen Warmlufteinbrüchen
sich stets schnell wieder herstellende „Inlandeishoch“ versteht.
Es bleibt noch die Frage offen, wann und wie häufig mit über Grönland hinwegziehenden Depres
sionen zu rechnen ist. Wie sich aus der im I. Teil niedergelegten Wetterbeschreibung ersehen läßt, sind
die Bedingungen dafür dann vorhanden, wenn ein ausgedehntes, selbständiges Hochdruckgebiet
über dem Nordatlantik während geraumer Zeit echte subtropische Warmluft nordwärts verfrachtet. Die
grönländische Kaltluft muß dann weichen. Eine derartige Druckverteilung findet man im allgemeinen
nur dann, wenn über den Azoren tiefer Druck herrscht oder, mit anderen Worten, das dynamische Hoch
der Roßbreiten in höhere Breiten gerückt ist, was einer Nordwärtsverschiebung des isländischen Aktions
zentrums gleichbedeutend ist. Es läßt sich daraus eine wechselseitige Beziehung zwischen Azoren
maximum und dem Luftdruck über Grönland ableiten. Aus diesem Zusammenhänge kann
man sich ein ungefähres Bild von der Beständigkeit des glazilen Hochdruckgebietes machen. Die Februar
wetterlage 1932 ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür.
In den meisten Fällen wählen die Zyklonen eine südlichere Bahn, um das Kap Farewell herum,
während hoher Druck über Grönland verharrt. Beim Vorüberzug der Tief druck Wirbel, die meist noch
sehr entwicklungsfähig sind, kommt es zu erheblichen Stürmen an Südgrönlands Küste. Dies hat seinen
Grund in dem außerordentlich stark anwachsenden Druckgradienten. Die Winde können binnen einiger
Stunden Orkanstärke annehmen. Besonders heftig sind die Stürme an der Vorderseite herannahender
Störungen bei südöstlichen Winden: Die grönländische Küste bewirkt ein Zusammendrängen der Strom
linien, so daß die Luftmassen um Südgrönland gewissermaßen herumschnellen. Diese Stürme sind nach
Berichten alter Grönlandfahrer durchaus gewöhnlich. Ergänzend soll hier der Verlauf des am 5. und
6. Juli 1931 bei Kap Farewell angetroffenen Sturmes wiedergegeben werden. Die Position, auf der das
Schiff 24 Stunden beigedreht lag, war etwa 60° N-Br. und 50° W-Lg., die Breite von Kap Farewell. Ein
Blick auf die Landkarte läßt sogleich erkennen, daß gerade dieser Bereich (kürzeste Entfernung von der
Küste 100 km) für lokales Auffrischen südöstlicher Winde infolge Küsteneinflusses besonders günstig
ist. Am Morgen des 5. Juli herrschte SSE Stärke 5, leichter Regen und Nebel; erst abends nahm der