32
Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte. — Band 50. Heft 2.
liegt nahe. Für diese ist der Wind die schaffende Kraft, für die Entstehung der Insel aber die
rhythmische Wasserbewegung mit Ebbe und Flut. Wie der Wind die Düne
bildet, aufbaut und fortbewegt, so tritt in ähnlicher Weise das Wasser mit seinen aufbauenden
und abbauenden Kräften in enger Verknüpfung mit den Lebenserscheinungen der Pflanzen und
Tiere und deren oekologischen Leistungen in den Bildungsplan der Insellandschaft ein.
Aber nicht allein das Gebiet der Grünen Insel steht im Zeichen dauernder Bewegung, Ver
änderung und Umlagerung, sondern die gesamte Landschaft zeigt in immer neuen Formen den
ständigen Wechsel von Gewinn und Verlust, von Aufbau und Zerstörung. Nichts vermag ein
eindrucksvolleres Bild von diesem Geschehen zu geben wie ehemalige menschliche Wohnstätten,
die heute vom Meer bedeckt werden. (Siehe Rungholt, Nordstrand, Halligen.)
Im April 1931 wurden im näheren Gebiet der Grünen Insel westlich von Kating auf den
Vorlandwatten in einer Entfernung von reichlich 200 Metern vom heutigen Deich Reste alter
Siedlungen gefunden (Fig. 11), und zwar drei Brunnen, die aus Grassoden aufgebaut sind, ein
Siel und die Reste einer Brücke. S1 ).
Das Holz von Siel und Brücke (Eiche) hat die ursprüngliche Härte bis auf den heutigen
Tag erhalten und zeigt in keiner Weise die geringste Fäulnis, ein erneuter Beweis für die trefflich
konservierenden Eigenschaften des Schlickes und des Salzwassers. Das Holz steht noch voll
ständig im ursprünglichen, gepflöckten Verband. Die Brunnen sind typische Sodenbrunnen, wie
sie früher in den Warftkörper hincingebaut wurden. Der Grundriß ist kreisförmig, der eigentliche
Brunnenring, die Wandung besteht aus Grassoden, die ebenfalls sehr gut die alte Vegetation
erkennen lassen, da dieselbe infolge des Abschlusses vom Sauerstoff der Luft und durch den
Salzgehalt des Bodens nicht verwesen konnte.
Als besondere Kostbarkeiten bargen zwei von den gefundenen Brunnen einen wunderbar
erhaltenen Terracotta-Krug, verschiedene rheinische Keramiken und als größte Ueberraschung
eine hohe Vase, orientalischen (wahrscheinlich arabischen) Ursprungs. Die wissenschaftliche
Untersuchung der Gefäße wird durch Archäologen vorgenommen werden, so daß dann mit
einer Bestimmung des Alters der untergegangenen Siedlungen gerechnet werden kann. Sämtliche
Ruinen liegen ungefähr 40—60 cm unterhalb der heutigen Wattoberfläche. Daß sie jetzt ans
Tageslicht gekommen sind, ist lediglich dem parallel dem heutigen Deich verlaufenden Priel zu
verdanken. Nur in seinem Bett sind die alten Kulturreste bisher sichtbar geworden. Da in den
Archiven keine Aufzeichnungen vorliegen, die einen Schluß auf die historischen Verhältnisse
in bezug auf Deichbau, Besiedlung und Untergang zulassen, müssen die heute vorhandenen
Geländeverhältnisse zum Verständnis herangezogen werden.
Der hinter der alten Sammelwarft Groß - Olversum plötzlich auf die Katinger Kirche zu
zurückspringende Deich (Fig. 11) ist bislang der dunkelste Punkt in der Eiderstedter Bedeichungs
geschichte. Die Gründe für die heutige Deichführung kennen wir nicht. Soviel nur kann ohne
Gefahr angenommen werden, daß die unmittelbare Lage der Katinger Kirchwarft zum Seedeich
keine ursprüngliche ist. Die Kirchwarft ist viel älter als der Deich. Dieser muß vor Jahr
hunderten zurückverlegt worden sein, als das davorlicgende Land den Sturmfluten zum Opfer
gefallen war. Die Lage der Katinger Kirche ist eine disharmonische Siedlungsform, denn der
Bauer baut seine Kirche nicht unmittelbar an den Seedeich und damit in die größte Gefahren
zone. Wenn auch heute noch nicht der Beweis von der Lage des früheren vernichteten Seedeiches
erbracht ist, so deuten die Terrainverhältnisse, besonders die Deichrichtung bei Groß-Olversum
vor dem Knick nach Norden (Fig. 11) und ebenfalls die scharfe Bucht von Spannbüllhorn nach
Norden doch sehr darauf hin, daß der erste Deich ehemals Groß - Olversum mit der Gegend von
Spannbüllhorn verbunden hat. Auf alle Fälle ist das Gebiet besiedelt gewesen, wie die Ruinen
21 ) Vergl. Wohlenbcrg, „Ruinen im Wattenmeer", erscheint in Natur und Museum, Frankfurt a/M. 1932.