Dr. Erich Wohlenberg: Die Grüne Insel in der Eidermündung usw.
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wird sich im folgenden ergeben, daß es im Wattenmeer nichts Fertiges, Abgeschlossenes gibt.
Jeder Bestandteil der Landschaft ist in dauernder Entwicklung und in stetem Wandel begriffen.
Jede Form ist nur ein Stadium und gleichzeitig ein Uebergang zu der nächstfolgenden Stufe in
der Entwicklungsreihe. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Grundhaltung der Arbeit, nämlich
die entwicklungs-physiologische Betrachtungsweise.
Hauptteil.
A. Der Flußmündungsraum.
1. Fluß und Meer in der Landschaft.
Die ost-west orientierte Lage der Eidermündung zusammen mit den vorherrschenden
Winden westlicher Richtungen lassen von vornherein vermuten, daß das Meer vor allem
mit den Gezeiten im Vordergrund der Kräfte steht, die im Aestuar am Werke sind. Das Vor
handensein ausgedehnter Marschen gerade im unteren Gebiet unserer Flußmündungen ist nicht
allein oder vorwiegend den Flüssen als Sedimentquellen zuzuschreiben, sondern in viel größerem
Maße dem Meer. Die Ansicht Stillahns, daß die erste Bedingung für die Marschenbildung
an das Vorhandensein reichlicher Flußsedimente geknüpft ist, kann hier nicht geteilt wer
den. Stillahn sagt wörtlich auf Seite 5: „Die Flüsse bauen hauptsächlich den Schwemm
landboden auf, dem Meer kommt dabei nur eine vermittelnde Rolle zu.“ Wir müssen in diesem
Falle streng unterscheiden zwischen der Leistung und Bedeutung unserer Flüsse während der ältesten
Alluvialzeit, der Abschmelzperiode, einerseits und während des jüngsten Alluviums andererseits. Würde
sich die Sedimentation einzig und allein auf die aus dem Nährgebiet der Flüsse heute herbeigeschafften
Senkstoffe beschränken, dann wäre an der deutschen Nordseeküste wohl kaum noch von einer
namhaften Marschenbildung die Rede. Sondern was die deutschen Marschen aufgebaut hat und
auch noch heute aufbaut, liegt längst im Wirkungsbereich der Nordsee. Die Sande und Tone der
Watten und Marschen — von den organischen Bestandteilen wie Moorbildungen und organischen
Sinkstoffen soll an dieser Stelle abgesehen werden— sind seit dem Abschmelzen des Eises ständig
dem Becken der Nordsee zugeführt worden. Hier aber haben sie infolge von Strömungen und Ge
zeiten stets Umlagerungen erfahren mit mehr oder weniger großen Unterbrechungen und bilden
hier eine nicht zu ermessende Reserve für die künftigen Marschbildungen. Dazu addieren sich
die individuellen Sinkstoffe der Flüsse, ohne aber jemals das Hauptkontingent in den unteren
Flußmündungen zu stellen. Rungholt, Nordstrand und die Halligen und als neueste Bestätigung
die Funde auf den Katinger Vorlandwatten (April 1931 vergl. S. 32/3) sind Zeugen der wechsel
vollen Geschichte der Watten und Marschen und erweisen, daß das einmal zur Ruhe gekommene
Sediment stets wieder einbezogen werden kann in den Kreislauf des Aufbaues und des Verfalls.
In der Tat sind im Gebiet der unteren Flußmündungen die ausgedehntesten Marschgebiete
zu finden, aber die Flußmündungen haben für die Landbildung in allererster Linie eine rein topo
graphische Bedeutung, d. h. die Aestuare sind solche Gebiete, welche die für die Landbildung er
forderlichen Bedingungen weitgehend erfüllen. Sie sind nämlich gleichzeitig Meeresbuchten, in
die hinein die Gezcitenwelle das reich mit Sedimenten beladene Wasser schafft. Wind und Wellen
bewegung nehmen mit dem Eindringen in die meist flachen Mündungen ab, der Wasserstau end
lich ermöglicht das ruhige Absinken der Stoffe. Damit aber hat das Meer mit den kosmischen
Kräften von Ebbe und Flut hinsichtlich der Sedimentation die Oberhand gewonnen. Es übertrifft
im unteren Teil der Mündung ökologisch gesprochen den Bauwert des Flusses bei weitem.