Dr. Erich Wohlenberg: Die Grüne Insel in der Eidermündung usw.
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Einführung.
Die geographische Lage.
Die Eidermündung liegt im Gebiet des alluvialen Marschstreifens, welcher der gesamten
Westküste Schleswig-Holsteins vorgelagert ist. Die Marsch gehört zu jenen Gebieten der Erde,
die bis in ihre letzte Flächeneinheit die Spuren menschlicher Betätigung tragen. Mit dem Deich,
der sein Land vor dem Meere schützt, hat der Mensch die vorläufige Grenze zwischen der dem
Meere abgerungenen Kulturlandschaft und der ungeschützten, offenen Naturlandschaft — Watten
und Meer — gezogen. Der Deich bildet den sichtbarsten Ausdruck des
menschlichen Willens zur Beherrschung dieser Landschaft. Aber der
Mensch beschränkt seine Tätigkeit nicht auf das durch den Deich gesicherte Gebiet, sondern
er dringt mit dem Spaten gegen das Meer vor, einerseits um dessen landbildende Tätigkeit zu
beschleunigen, andrerseits um die Zerstörung durch das Meer zu unterbinden. Die täglich noch
zweimal überfluteten grauen Flächen werden mit einem System von Grüppeln (=klcine Gräben
zur Ent- und Bewässerung) und Buhnen und Lahnungen (=Busch- und Erddämme) zur Förderung
der Anlandung durchzogen. Damit ist aber das neue Land für alle Zeit als Kulturlandschaft ge
zeichnet. Gebiete, in denen sich die Neulandbildung von menschlicher Hand unbeeinflußt vollzieht,
werden immer seltener. Nur ein solches Gebiet kann jedoch Aufschluß geben über den natürlichen
Entwicklungsprozeß des werdenden Landes, dessen Beobachtung und Darstellung sich die vor
liegende Arbeit zum Ziel setzt.
Ein solches, für die Untersuchung der natürlichen Verhältnisse geeignetes Gebiet finden wir
in der Grünen Insel in der Eidermündung
Von der kleinen Hafenstadt Tönning ab, westwärts sich mehr und mehr erweiternd, öffnet
sich das Eiderästuar trichterförmig zur Nordsee. Nördlich und südlich vom Mündungstrichter
liegen hinter hohen Seedeichen geborgen die beiden Kulturlandschaften Eiderstedt und Dithmar
schen. Beides sind Seemarschgebiete und wegen ihrer hervorragenden Fruchtbarkeit weithin
bekannt, aber inbezug auf Bevölkerung und Kulturgut durch Fluß und Meer zwei streng vonein
ander geschiedene Kulturgebiete. Die Erbfeindschaft früherer Jahrhunderte, wovon uns die
Chronik berichtet, scheint zwar begraben, die kulturelle Selbständigkeit der beiden Bauernvölker
zu beiden Seiten des Aestuars jedoch findet in der Eigenart der Bewohner, in der Wirtschaftsform
sowohl wie vor allem in der Architektur ihren unverkennbaren Ausdruck.
Die Dithmarscher Landschaft südlich vom Aestuar steht ausschließlich im Zeichen intensiven
Ackerbaues. So selten der Pflug in Eiderstedt noch den Acker bricht, so sehr steht er in Dith
marschen im Vordergrund.
Den Dithmarscher Deich überragen große rationelle Wirtschaftsgebäude (meistens Well
blechscheunen), oft genug von keinerlei Baumwuchs umkleidet, was dem Landschaftsbild in dem
ohnedies schon baumarmen Küstengebiet eine gewisse Härte gibt. Nahezu jeder größere Hof
trägt den neuzeitlichen Windmotor, der in bezeichnender Weise das Dithmarscher Ufer der
Eidermündung charakterisiert und in aller Schärfe den Gegensatz zum Eiderstedter Ufer zum
Ausdruck bringt.