G. Baumann: Strömungseinfluß des mitteldeutschen Gebirgsrandes und seine Bedeutung für die Flugmeteorologie dieses Gebietes 23
Verhältnisse jeder einzelnen Station einzugehen, wenn auch Windrichtung und Windstärke vielfach für ihre
Lage charakteristisch sind. Einige besonders auffallende Strömungsformen seien noch kurz erwähnt. Wie
aus den Winden von Bodenwerder und Hameln hervorgeht, sind offenbar auch bei dieser Wetterlage die
Vorgänge am Ith äußerst kompliziert. Hameln, das eine große Streuung erkennen läßt, hat neben Südost-
und Ostwinden auch West- und Nordwestwinde. Wahrscheinlich kommt zwischen Ith und Süntel eine Wir
belbewegung zustande, die unter Umständen bis Hameln ausgreift und dort eine rückläufige Bewegung nach
sich zieht. Die in der Strömungskarte dargestellte Form gibt natürlich nur eine Möglichkeit des Vorganges
wieder, es kann auch ein Wirbel mit horizontaler Achse vorhanden sein. In den später zu berichtenden
Flugerfahrungen wird auf diese Verhältnisse zurückgekommen werden müssen.
Ein Analogon hierzu finden wir in dem Wirbel am Westharz, einer Erscheinung, die sich sehr häufig
nachweisen läßt und der flugmeteorologisch große Bedeutung zukommt. Die Vorbedingungen für das Zu
standekommen eines Wirbels mit vertikaler Achse sind hier durchaus gegeben. Entscheidend ist wiederum
der Steilabfall des Gebirges. Dieser bedingt ein Zusammendrängen der Stromlinien im horizontalen Strö
mungsfeld, wodurch die hohen Windgeschwindigkeiten von Vienenburg und Goslar erzeugt werden. Die
dem Gebirgsrand unmittelbar vorgelagerten Stationen Hettstedt und Wernigerode sind ebenfalls durch stär
kere Winde ausgezeichnet, doch werden die größten Geschwindigkeiten am Nordwesthang des Harzes er
reicht. In diesem Falle unterstützen sich Ursache und Wirkung. Der dynamische Unterdrück in Lee, also
westlich des Harzes, stellt einen Sog dar und verursacht eine Zunahme der Winde am Nordrande des Harzes;
diese wiederum bedingt eine weitere Druckabnahme, indem Luftmassen von Lee mitgerissen werden. Auf
diese Weise ließe sich die nördliche Komponente des Windes von Seesen als beiziehende Wirkung des Unter
druckes erklären. Selbstverständlich besteht die Möglichkeit, daß auch die im Süden des Harzes vorbeistrei
chende, leineabwärts gerichtete Strömung die im Talkessel Seesen lagernde Luft mitreißt; doch ist die mit
größerer Geschwindigkeit bewegte Luft am Nordhange wahrscheinlich die aktivere. Das gleichzeitige Ein
wirken beider Luftströme würde das Auftreten eines Leewirbels mit vertikaler Achse nur fördern. In der
Strömungskarte ist für diesen Fall eine Darstellung gegeben. Daß unter diesen Umständen Windrichtung
und Windstärke in Seesen großen Schwankungen unterliegen, ist erklärlich. Die Wahrscheinlichkeit eines
Leewirbels mit vertikaler Achse schließt natürlich die Möglichkeit eines solchen mit horizontaler Achse nicht
aus. Letzterer wäre, besonders unter Berücksichtigung der in Seesen in einzelnen Fällen vorkommenden
West- und Nordwestwinden, leicht vorstellbar. Man findet beispielsweise des öfteren Nordwestwinde vor, die
als rückläufige Bewegung eines Wirbels mit horizontaler Achse angesehen werden können. Vielleicht treten
beide Wirbelarten gleichzeitig auf und greifen ineinander.
Dem gegenüber verläuft die Strömung im Norddeutschen Flachland fast ungestört. Ein Einfluß des
Gebirgsrandes auf die Strömung bleibt bei dieser Wetterlage auf die unmittelbar an das Gebirge angrenzen
den Gebiete beschränkt. Am auffallendsten ist die Ablenkung am Harz. Wieder zeigt sich die typische
Divergenz nördlich des Harzes, vollkommen übereinstimmend mit der Ostwetterlage (vgl. Kart. 7 u. 8).
Diese Ähnlichkeit der beiden Wetterlagen rührt daher, daß die Südostströmung als Leeseitenströmung des
Riesen- und Erzgebirges, jedenfalls in den unteren Schichten, mit fast rein östlicher Komponente, die Saale
überquerend, den Harz anströmt.
Die Konvergenzlinie (eigentlich Konvergenz-Divergenz) im Lee des Thüringer Waldes und Erzgebirges
ist auf die gleiche Ursache zurückzuführen: Nördlich des Gebirgsrandes besteht eine rein östliche Luftströ
mung, auf die längs dieser Konvergenz die mit der Oberströmung das Gebirge überquerenden Luftmassen
auftreffen. Dabei kommt wieder dem Gebirgshang der 300 und 200 m-Höhenschichtlinie eine bedeutende
Rolle zu. Das ist der Grund, weswegen diese Unstetigkeitslinie bei allen Wetterlagen stets die gleiche, cha
rakteristische Lage beibehält.
Es kann nicht genug betont werden, daß diese Erklärungen den Nachteil besitzen, nicht durch
Messungen des thermodynamischen Zustandes der Atmosphäre gestützt zu sein. Man kann hier also allen
falls von wahrscheinlichen Vorgängen sprechen. Das, worauf es an dieser Arbeit ankommt,
darf nicht als restlose Klärung der Strömungsvorgänge aufgefaßt werden, sondern kann lediglich die Hinder
nisströmung in grober Annäherung bildlich darstellen. Durch ein ausgedehntes Netz von Höhenwindmeß
stellen ließe sich natürlich schon wesentlich mehr erreichen.