Dr. H. Thorade: Gezeitenuntersuchungen in der Deutschen Bucht der Nordsee.
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offenen Deutschen Bucht wärmer war als an der Küste. Es muß dahingestellt bleiben, ob die etwas
auffrischenden Westwinde etwa den Strahlungseinflüssen und dem Landklima entgegenarbeiteten. Jeden
falls war der normale Zustand, daß nämlich das Küstenwasser im Sommer wärmer ist, als das Wasser
der offenen See, innerhalb einer Woche in sein Gegenteil verkehrt worden.
Wester Till (24.—25. VI., Taf. 4, Nr. 71, 72). Die Erwartung, daß im Mündungsgebiet zweier
Ströme, der Elbe und der Weser, ausgesprochene Schichtung anzutreffen sein würde, bestätigte sich
zum Teil; im Mittel zweier Tiden ergab sich nämlich:
Temperatur Salzgehalt
Strom kentert
Strom
kentert
Tiefe
von Flut
von Ebbe
von Flut
von Ebbe
auf Ebbe
auf Flut
auf Eobe
auf Flut
1 m
15.02°
14.04°
(31.51 °/oo)
(31.62 °/oo)
5 m
14.63°
13.58°
(31.16 %0)
(31.54°/«))
10 m
12.27°
13.53°
(32.27 %.)
(32.24 °/oo)
20 m
11.64°
12.68°
(32.53 °/o.)
(32.29 °/oo)
1 m üb.
Grund 11.62°
12.43°
(32.50 °/o«)
(32.24 “/«n)
Sonderbarerweise war die Schichtung am deutlichsten gegen Ende des Flutstroms, um sich nach
her wieder völlig zu verwischen, also umgekehrt wie auf der Springtideposition (Taf. 4, Nr. 69). Der
tägliche Wärmegang kann aus den schon oben angeführten Gründen nicht wohl dafür verantwortlich
gemacht werden, denn das Kentern von Flut auf Ebbe wurde beobachtet zwischen 18 k und 19\ sowie
zwischen 7 h und 8 h , das Kentern von Ebbe auf Flut gegen 13 h und etwa um 0 h . Um so mehr über
rascht es, daß gerade der Flutstrom eine Erwärmung der oberflächlichen Schichten auf über 15°, der
Ebbstrom eine Abkühlung auf 14° zur Folge hat. Während also auf der Springtideposition das wärmere
Oberflächenwasser von Osten kam, kam es einige Tage darauf bei der Wester Till von Westen, und
nach abermals einigen Tagen auf der Nipptideposition auch von Westen, war aber mehr als einen Grad
kühler. In der Tiefe dagegen kam sowohl auf der Springtide- wie auf der Nipptideposition das wär
mere Wasser mit der Flut, also von Westen, was dahin gedeutet werden kann, daß die sommerliche
Erwärmung im Innern der Deutschen Bucht noch nicht weit bis über 10 m in die Tiefe eingedrungen
war; bei der Wester Till aber kam in der Tiefe das wärmere Wasser von Osten, während es an der
Oberfläche von Westen gekommen war. Die Klärung dieser verwickelten Verhältnisse muß späteren
Untersuchungen überlassen bleiben, wobei besondere Aufmerksamkeit dem Watt zuzuwenden sein wird,
das, wenn es trocken fällt, der Ein- und Ausstrahlung ausgesetzt ist und dann seine Temperatur dem
von neuem auflaufenden Wasser mitteilt.
Auch hier sind die geschilderten Grundzüge nicht etwa nur durch die Berechnung von Mittelwerten
aus stark streuenden Beobachtungen entstanden, sondern die Einzelwerte bringen sie ebenso klar zum
Ausdruck: Nr. 72 stellt den Wasserstand und die Temperatur als Funktion der Zeit für die Wester
Till graphisch dar; die entsprechenden Darstellungen für die Spring- und Nipptideposition zeigen zum
Teil abgeschwächt denselben Gang und mögen deshalb hier fortbleiben. Man könnte bei der Nr. 72
an interne Wellen von Gezeitenperiode denken, wie sie neuerdings Helland-Hansen und Nan
sen“) im Atlantischen Ozean fanden, und wie sie A. Defant“) eingehend beschrieben hat; die Er
klärung dieser internen Gezeitenwellen im Ozean bereitet außerordentliche Schwierigkeiten und ist noch
nicnt gelungen.
Vor der Wester Till dagegen, im Mündungsgebiete großer Flüsse, muß man mit Bestimmtheit auf
interne Schwankungen von Gezeitenperiode rechnen, ohne daß interne Wellen in Frage kommen; ja,
wenn die internen Schwankungen nicht vorhanden wären, müßte man nach den Ursachen suchen, die
32 ) Heiland-Hansen, B., u. Nansen, F.: The Eastern North Atlantic. Geofys. Publ. IV, 2, Oslo 1926,
Seite 16 ff.
M ) Defant, A.: Bericht über kurzperiodische Schwankungen von Temperatur und Salzgehalt in den obersten
Wasserschichten des Ozeans. Ztschr. Ges. f. Erdk. Berlin 1927, Nr. 5/6, S. 286 ff.