W. I m m 1 e r: Analytisch-geometrische Untersuchungen über die Azimutgleiche in der Merkatorkarte.
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Analytisch-geometrische Untersuchungen über die
Azimutgleiche in der Merkatorkarte.
1. Geschichtliche Entwicklung.
Das Wort Azimutgleiche wurde um die Wende des Jahres 1909 in Anpassung an das Wort
Höhengleiche geprägt. Verstand man in der astronomischen Nautik unter Höhengleiche
den Inbegriff aller Punkte der Erdoberfläche, von denen aus ein Gestirn in derselben Höhe beobach
tet werden kann, so ist die A z i m u t g 1 e i c h e der geometrische Ort aller Punkte der Erdoberfläche,
an denen ein Gestirn im selben Azimut gepeilt werden kann. Die Höhengleiche ist eine verhältnis
mäßig einfache Linie, ein Nebenkreis um den Bildpunkt des Gestirnes mit der Zenitdistanz des Ge
stirnes als Radius und setzt nur die Anwesenheit eines Gestirnes voraus. Die Azimutgleiche wird des
halb komplizierter, weil die Messung des Azimuts neben der Anwesenheit des Gestirnes noch den Me
ridian des Beobachtungsortes zugrunde legen muß. Die Azimutgleichen müssen daher Linien sein, die
in Beziehung zu einem auf der Erde gebräuchlichen Koordinatensystem stehen, oder, da die Richtung
des Meridians durch den Pol eindeutig festgelegt ist, sind die Azimutgleichen dreipunktig (durch Ge
stirn, Pol und Beobachtungsort) bestimmt, während die Höhengleiche zweipunktig (durch Gestirn und
Beobachtungsort) festgelegt ist.
Das Problem der Azimutgleiche läßt sich, ohne ihr Wesen zu verändern, verallgemeinern, wenn
man statt des Poles ein zweites Gestirn einführt und von Azimutunterschieden zwischen den beiden
Gestirnen spricht.
Die erste Untersuchung stellte A. Wedemeyer*)*) über die Azimutgleiche im Jahre 1910 an. Er
untersuchte die Linie in den verschiedensten Projektionen und stellte als Hauptergebnis fest, daß die
Azimutgleiche eine auf der Kugel liegende Cassinische Linie sei, die sich dadurch ergibt, daß die Erde
durch einen schiefen Zylinder durchschnitten wird. Die direkte Lösung versprach wenig Erfolg, weil
die Auflösung von Gleichungen vierter Ordnung notwendig sei. Im Jahre 1917 untersuchte W. Imm-
ler 5 )») 13 ) p,i n i en gleicher Azimutdifferenz durch Verwendung verschiedener Koordinaten. Seine
Ergebnisse gipfelten in einer indirekten Lösung des Pothenotschen Problems auf der Kugel, indem die
Konstruktion der Tangente der Azimutgleiche versucht wurde. Es ergab sich damals der Satz, daß im
Beobachtungsort das Lot zur Tangente durch Spiegelung einer bestimmten Richtung an einer örtlichen
Symmetrieachse gefunden werden kann. Es erwies sich als auch für die Kugel giltig der Satz der ebenen
Geometrie, daß an der Ecke eines Dreiecks der Winkel zwischen Winkelhalbierenden und Höhe gleich
ist dem Winkel zwischen der Winkelhalbierenden und dem Radius des umgeschriebenen Kreises (dem
Lot zur Tangente).
Wichtig für die Entwicklung der Theorie der Azimutgleiche war, daß im Jahre 1905 H. Maurer 1 )
auf den Littrov T schen Kartenentwurf (Weirs Azimutdiagramm) hingewiesen hat, in dem die Azimut
gleiche als gerade Linie erscheint.
Einen neuen Anstoß für die Behandlung der Azimutgleiche gab die Erfindung des Bordpeilers,
mit dem es ermöglicht wird, unter Umgehung der sog. Landpeilung aus der aufgenommenen Richtung
eines Funkstrahles eine Ortsbestimmung auf See vorzunehmen. Bei der Überfahrt des Z. R. III über
den atlantischen Ozean im Herbste 1924 war das Luftschiff mit einem solchen Bordpeiler ausgerüstet
*) Die Hinweise beziehen sieh auf die Diteraturangaben am Schluß.