Dr. Heinrich Seilkopf: Grundzüge der Flugmeteorologie des Luftweges nach Ostasien.
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Die Winter stürme tragen das Gepräge der Bora, wie sie von der Nord
küste der Adria und der Nordküste des Schwarzen Meeres bekannt ist:
Schwere kalte Luftmassen stürzen in stürmischen Böen von einem kalten
Bergland in leichte, warme, über warmem Wasser liegende Luft. Weniger
einfach ist jedoch die Erklärung der Sommerstürme, die Jakhontow nur kurz
erwähnt, in dem auch bei ihnen im allgemeinen ein Sinken der Temperatur
festzu stellen sei, während der Druck steige. Im Sommer liegt über dem See
bereits ein Kissen kalter Luft, das zunächst die Erscheinungen eines Kälte
einbruchs abschwächen müßte.
Bei einem Aufenthalt am Baikal hatte Verfasser Gelegenheit, am 4. Juli 1926 einen Sommersturm
aus eigener Anschauung kennenzulernen. Beobachtungsort war das Dorf Listwenitschnoe nördlich des
Angaraausflusses. Nach einem heiteren Tage zog am Spätnachmittag von Westsüdwesten und Westen
her ein Schirm von flockigem Cirrusstratus auf, dem Stratusgewölk folgte. Um 20.10 h. bildeten sich
an den Bergspitzen im Südwesten des See® Nefcelflöckchen, die von der einheimischen Bevölkerung
gleich als Vorzeichen eines rasch hereinbreohenden Sturmes beachtet wurden. Innerhalb von 10 Mi
nuten entstand an den Bergen ein geschlossener, sich langsam senkender Nebelvorhang. Gleichzeitig
trieben in etwa 200 m Höhe über dem Wasser gelb-braune Dunstsohwaden aus Südwest, während unten
noch schwacher Nordostwind herrschte, von dem über dem See lagernden Kaltluftkissen abströmend.
Eine Viertelstunde nach dem Erscheinen der Nebelflöckchen setzten Stöße warmer Luft aus Süden und Süd
westen ein, die viel Staub und den Geruch von Waldbrand mit sich führten — Zeichen, daß die Luft von den
Waldbergen der Umgebung stammte, wo ständig kleine Feuer brannten. Die Winde wurden als „Berg
winde“ (gornyj) bezeichnet, die dem Sturm vorauszugehen pflegen. Zunehmende Böen aus südlicher
Richtung bringen weiteren Temperaturanstieg. Und 20 Minuten nach dem Erscheinen der Nebelflöck
chen fällt Weststurm ein: Die Nebelwand aus Westen rückt vor, in niedriger Höhe treiben dichte
Wolken von Staub und Nebelmassen. Die Böen nehmen rasch zu; bald erreichen sie Geschwindigkeiten
von 25—30 m/sec. Rasch kommt erheblicher Seegang auf, und schließlich peitschen die von den steilen
Uferhängen einfallenden Böen Fahnen fliegender Gischt hoch. Überall sieht man die schmalen Gischt»
fahnen über den See ziehen, zwischen denen wesentlich geringere Windgeschwindigkeiten herrschen.
Am Ufer geht zwischen den Böenstößen die Windgeschwindigkeit beispielsweise bis auf 5 m/sec. herab.
Von 21 h. ab erscheint im Westen und Südwesten lebhaftes Wetterleuchten. Nachdem der Sturm von
20.80 h. an unvermindert 2 Stunden getobt hat-, läßt er langsam nach, jedoch wurden am 5. um lh.,
also 4'A Stunden nach Sturmbeginn, in Böen noch immer 16 m/sec. erreicht. Erst am 5. gegen 4 h. flaut
es vollends ab. Am Morgen des 5. fällt in Listwenitschnoe aus ganz niedrigen Wolken feiner Nebel
regen, der jedoch um 7 h. aufhört. Tagsüber herrscht dann bei leichtem westlichen Winde Stratocu
mulusbewölkung, die über dem See nachmittags ab nimmt.
Der Nebel bei Beginn des Sturmes ist als Mischungsnebel aufzufassen, indem die hereinbrechende
wärmere Westströmung beim Auftreffen auf die kalte Seeluft sich mit dieser mischt und unter den
Kondensationspunkt abgekühlt wird. Von den Baikalstationen meldet Oharauz nachts und am 5. früh
ebenfalls Nebel. Das Ferngewitter verdankt seine Entstehung dem darauffolgenden Kaltlufteinbruch.
Ferngewitter sind von einer ganzen Anzahl von Stationen beobachtet worden; Nahgewitter hat nur
Maritui gemeldet. Die Vereinigung von orkanartigen Sturmböen, Wärmeeinbruch, Nebel und Fern
gewitter ließ den Sturm vom 4. Juli 1926 zu einer eindrucksvollen meteorologischen Erscheinung
werden. (Tafel I, Karten 1—8, Tafel II).
Die Morgeinwetterkarte vom 4. Juli zeigt ein Tiefdi*uckgebiet von 740 mm am mittleren Jenissei
und mittleren Ob mit einem zwischen oberem Jenissei und Angara gelegenen Teiltief. Hochdruckge
biete bedecken das mittlere Lenagebiet und das Al tai-Tienschan-Gebiet. Auf der Vorderseite de® Teil
tiefs schiebt sich eine Zunge warmer Luft von der Mongolei her bis zur Oberen Tunguska nordwest-
wärts vor, während westlich des Jenissei Kaltluftmassen lagern. Auf der Sonderwetterkarte vom Baikal
gebiet von 13 h. liegt das Teiltief — anscheinend in mehrere Kerne aufgesplittert — längs der Angara,