Dr. A. Schumacher, Die Gezeitenströmungen.
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wärtigen Bearbeitung befolgten Verfahren, würde bei den beiden Kurven der positive Teil mit der Abszissen
achse eine gleich große Fläche begrenzen wie der negative Teil. Oder: würde man über beide Kurven
möglichst dicht gleichabständige Ordinaten verteilen, so würde bei beiden die algebraische Summe dieser
Ordinaten Null sein. Ist ein Reststrom vorhanden, (vergl. hierzu Abb. 2, Tafel 1), so fallen Koordinaten
ursprung (Beobachtungspunkt) und Schwerpunkt der „Stromellipse“ nicht mehr zusammen, und der
Abstand Koordinatenursprung—Schwerpunkt (in dieser Richtung) stellt die Richtung und Geschwin
digkeit der unperiodischen Wasserversetzung während der betrachteten Tide dar. Die Komponenten
dieser unperiodischen Wasserversetzung erhält man aus den beiden Kurven der Ostwest- und Nordsüd
komponenten, indem man die Abszissenachsen bei beiden Kurven so verschiebt, daß die Flächen zwischen
der Abszissenachse und dem positiven bezw. negativen Teil der Kurven gleich werden, oder daß die alge
braischen Summen der gleichabständigen Ordinaten den Wert Null erhalten 1 ).
Dieses Verfahren erscheint wohl geeignet, einen Überblick über die mittlere unperiodische Wasser
versetzung während einer Tide zu geben; hierzu ist es auch im Abschnitt 5 angewendet worden. Wollte
man, weitergehend, den so gefundenen Reststrom aus der Stromrose beseitigen, so würde dies offenbar
weiter nichts bedeuten, als die Verschiebung des Koordinatenursprungs in den Schwerpunkt der „Strom
ellipse“ (Stromrose). Praktischen Wert hat eine solche „reststromfreie“ Stromrose zunächst nicht; denn
sie kann nicht etwa als annäherndes Abbild des mittleren ungestörten Tidenablaufes gelten. Dies ver
anschaulicht deutlich die Gegenüberstellung der (vom Reststrom also nicht befreiten) Stromrosen Abb.
8 und 9, Tafel 1: Abb. 8 stellt das Mittel aus den Beobachtungen auf „Poseidon“ zur Nippzeit im August
1921 auf 55° 3'N. 7°45' 0 dar, Abbildung 9 das Mittel aus den Beobachtungen auf „.Poseidon“ am 10. bis
11. Juni 1920 (ebenfalls zur Nippzeit) auf 55° 4'N. 7°43' O., also in nur 1.5 Sm Entfernung. Die Stromrose
vom August 1921 ist bei vorherrschend frischen bis starken nordwestlichen Winden gewonnen worden,
die vom Juni 1920 bei leichten nördlichen bis vorwiegend östlichen Winden. Die völlig verschiedene
Form der beiden Stromrosen würde auch nach der „Beseitigung“ des Reststromes bleiben, da ja nur
der Koordinaten Ursprung, nicht der Endpunkt der Strompfeile verlagert werden würde. Die Annahme
eines längere Zeit konstanten Reststromes ist eben für diesen Zweck unzulässig.
Auf eine „Beseitigung“ des Reststromes wurde demnach verzichtet, dafür wurde jedoch, soweit
die Beobachtungen das zuließen, Stromrosen für verschiedene Windrichtungen gezeichnet, oder es wurden
(bei den kürzeren Beobachtungsreihen der Peilboote) die während der Beobachtung herrschenden Wind
verhältnisse bei den Stromrosen angegeben. Derartige Darstellungen sind m. E. mindestens für die Praxis
vorzuziehen.
Es erscheint nicht überflüssig, darauf hinzuweisen, daß die in den Stromrosen niedergelegten mitt
leren Angaben für jede Gezeitenstunde gänzlich durch Koppelung gewonnen worden sind. Es ergibt
sich natürlich dabei die bekannte Schwierigkeit, daß diese vektoriellen Mittel der Geschwindigkeit
meistens kleiner sein werden, als die arithmetischen Mittel. Es sind deshalb, ähnlich wie dies von
Wendicke (a. a. 0. S. 111) geschehen ist, in Tab. 1 neben den bei der Koppelung erhaltenen Geschwindig
keitsangaben meistens auch die arithmetischen Mittel der größten Geschwindigkeiten von Flut- und Ebb
strom mitgeteilt.
3. Der Gezeitenstrom an den einzelnen Stationen während der Beobachtungen im August 1921.
a) „Poseidon“. (55°3' N. 7°45' 0.). Aus dem beigebrachten Material für 5 m und 19 m Tiefe wurdo
zunächst je eine Stromrose als Mittel sämtlicher 20 Tiden gewonnen (Abb. 3 und 4, Tafel 1). Außerdem
wurden Diagramme für Spring- und Nippzeit abgeleitet; für diese sind je drei Tiden benutzt worden (Abb.
5 bis 8, Tafel 1). Grundsätzlich wäre die Verwendung von zwei oder vier Tiden vorzuziehen gewesen,
um die tägliche Ungleichheit auszuschalten; doch wird m. E. die Störung durch unperiodische Einflüsse
*) Diese Art der Ermittelung des Reststromes ist beiläufig von Fr. Wendicke, Hydrogr. u. biol. Untersuch, auf d.
deutschen Feuerschiffen d. Nordsee, die hydrogr. Ergebnisse (Veröff. Inst. f. Meereskunde N. F. A., Heft 13, S. 19ff.) in
geometrischer Einkleidung auseinandergesetzt („progressive Vektordiagramme“).