Die geschichtliche Entwicklung der Polhöhenbestimmungen bei den älteren Völkern.
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„Die Antwort ist die, daß. da der Gnomon bekannt ist, sowie auch seine
Schattcn(längen) für den Mittag des Anfangs des Widders, Steinbocks und Krebses,
die Breite des Ortes gegeben ist durch den Gnomon und einen dieser Schatten.“
ln Fig. 14 sei OF = q der Gnomon, welcher bei der Sonnenhöhe H i FB 1 90 u —cp + 3 den
Schatten FQ — m (Sonne im Krebs), am Mittag des Anfangs des Widders, wo die Sonnenhöhe = 90 0 — cp
ist, den Schatten FS = m 1 , endlich zur selben Zeit im Steinbock bei der Sonnenhöhe 90° — <p— $ einen
solchen FR = m 2 wirft. In Fig. 15 sind die Schattenkurven für die zwei Solstitialtage und die Tag- und
Nachtgleiche gezeichnet. F ist der Fußpunkt des Gnomons. Aus Fig. 14 liest man leicht ab:
21. Juni: —— == tang [90 0 — (» — e)] — cotg (cp — s),
'i'Yt
21. März, 23. Sept.: ~~~ = tang (90° — cp) = cotg cp,
21. Dezember: = tang [90° — (cp + e)] = cotg (<p + s),
in 2
woraus, wie behauptet, cp jedesmal gefunden werden kann.
ß) „Im Falle aber der Gnomon nicht bekannt ist, sei es deshalb, weil er ver
loren gegangen ist, oder daß, weil seine Gestalt kegelförmig ist, man den senk
rechten Abstand der Spitze vom Fußpunkt (Pfeilhöhe) nicht genau haben kann, die
der wahre Gnomon ist, lautet die Antwort, daß, da der Schatten des wahren Mittags
(des Tages des Beginns) des Steinbocks und derjenige seines Assr bekannt sind,
die Differenz dieser beiden Schatten gleich der Länge des Gnomons ist“, womit diese
Aufgabe auf a) zurückgeführt ist.
Der Assr (oder Asr) ist jene Zeit des Nachmittags, die in dem Augenblick eintritt, in dem der
Horizontalschatten gleich dem Mittagsschatten vermehrt um die Länge q des Gnomons ist. Er endigt,
wenn der Überschuß des Abendschattens über den Meridianschatten gleich der doppelten Höhe 2 q des
Gnomons ist 1 ). Setzt man q — 1, so ist für den Beginn des Assr, wo die Sonnenhöhe h' sein möge:
cotg ti — 1 + tang (cp 4- o)
und für das Ende (Sonnenhöhe = h"): cotg h" = 2 + tang (cp + 6) *) (Fig. 15).
y) „Wenn es heißt, daß der Mittagsschatten des Beginns des Steinbocks nicht
bekannt ist, sei es, weil das Zentrum des Gnomons zerstört ist, oder weil, falls der
Gnomon von Kegelform ist und auf seinem Fuße feststeht, man den genauen Betrag
des Mittagsschattens zum Beginn des Steinbocks nicht haben kann, so lautet die
’) Die Zeit des Asr (Asr - Nachmittag) ist für den Muselmann eine Gebetszeit. Er hat während des Asr vier Rakas
(Einzelgebete) zu verrichten. Deshalb war eine genaue Festlegung desselben von jeher eine Aufgabe des Astronomen. Vor
A bul Hassan wird der Asr in dieser Definition anscheinend nirgends erwähnt. Auch Hassan klärt uns über die religiösen
Praktiken und ihren Zusammenhang mit der Sonnenuhr nicht näher auf. Es ist nicht richtig, wenn R. Sonndorfer in seiner
Sonnenuhrkunde behauptet, daß die Konstruktionen in Abul Hassans Werke „fast alle religiösen Gebräuchen dienen“ (S. 16).
Uber diese ist noch gar nichts in europäische Sprachen übersetzt, obwohl darüber sehr viele Details existieren (freundliche
briefliche Mitteilung von Herrn Prof. Suter). Sie datieren jedoch aus einer späteren Zeit und sind in der Regel von
Gebetsrufern verfaßt; vor 1350—1400 gibt es nur sehr wenige diesbezügliche arabische Handschriften.
Wie man die für das ganze Jahr gültige Asr-Kurve in das Zifferblatt der Sonnenuhr einzeichnen kann, und wie die
Gleichung für diesen merkwürdigen geometrischen Ort aufzustellen wäre, hat Schreiber dieses in dem schon erwähnten
Aufsatz in der Naturwiss. Wochenschr. gezeigt. Wenn man den Fußpunkt des Gnomons zum Koordinatenanfang, die
Kardinalrichtungen zu den Koordinatenachsen macht, so findet man leicht folgende zwei Gleichungen:
y- • sin 2 o — x 2 • cos (cp — 3) • cos (cp + o) + x -q• sin 2 cp — q 2 sin (cp — o)• sin (cp + 5) = o,
x 2 + y 2 = q 2 • [1 + tang (cp — 3)] 2 .
Die Elimination von o führt auf eine Gleichung vom 8. Grade. Die Asr-Linie scheint nicht ohne merkwürdige Eigen
schaften zu sein. Sie, wie auch die „Hafir-Kurven“ und der „Halazun“ (Schraubenlinie) lassen indessen sehr übersichtliche
Parameterdarstellungen zu, wodurch ihre Diskussion ermöglicht wird. Wir werden eingehend über diese merkwürdigen
Erzeugnisse arabischer Guomonik in einem eigenen Buche handeln.
*) Nach der Festsetzung des Imams Schafiy (764—819) begann der Assr in dem Augenblick, wenn der Gnomon
einen Schatten = seiner eigenen Länge (q) zeigte und endigte bei einer Schattenläuge — 2 q (vgl. Mud ge a d’Ohsson:
Tableau général de l’empire othoman, pag. 173). Daß die Hassansche Festsetzung des Assr vollkommener ist, sicht mau sofort.
Archiv 1011, Nr. 2. 4