\V. Koppen: Erforschung der freien Atmosphäre mit Hülfe von. Drachen. 85
Fliegt ein Drache anhaltend nicht genau in der Richtung der Luftströmung und mit seiner Längsachse
nicht genau in der Vertikalebene, so ist er nicht ganz symmetrisch gebaut. Stets liegt er dann mit dem
Kopf dahinüber, wohin er abweicht, wohl daher, weil die Wirkung des Windes auf das Kopfende des Drachens
viel stärker ist, als auf dessen Schwanzende. Bei starkem Winde wird dieser Fehler gefährlich, und auch
bei schwachem ist er mit Verlust au Höhe verbunden. Als Nothbehelfe, um diesen Fehler zu korrigiren,
werden vom Blue Hill folgende, in der That sehr wirksame Mittel angegeben. Bei Malay-Drachen besteht
das Mittel darin, auf der Seite, nach welcher der Drache ab weicht, hinter dem Zeug eine Schnur vom
Längs- zum Querstock, etwa auf der halben Länge beider, zu spannen. Offenbar wird also durch diese
Stütze der Druck des Windes auf diese Zeughälfte vergrössert — ein Erg ebniss, dass scheinbar mit dem
Befund von Lilienthal und Hargrave, wonach der Druck auf gewölbte Drachenflächen viel grösser ist, als
auf ebene, im Widerspruch steht. Der Grund ist offenbar der, dass unter dem Druck starken Windes heim
Malay-Drachen durch Einbuchtung des Bandes die Projektion der Druckfläche abnimmt (sie werden ganz
schlank hei heftigem Winde, siehe Fig. 35) und diese Abnahme durch die Stützschnur verringert wird. Für
Kastendrachen besteht das Mittel im Anbringen eines Steuers in einer der Zellen; nach dem (brieflichen) Itath
von Mr. Clayton hat dies in der hinteren Zelle zu geschehen, wobei das liinterende des Steuers nach der
Seite zu richten ist, wohin der Drache gelenkt werden soll. Noch wirksamer ist das Steuer, wie ich gefunden
habe, in der vorderen Zelle, wobei sein vorderes Ende nach der gewünschten Richtung weisen muss. Ein
von Lieken eingefasstes drei- oder viereckiges Zeugstück, dessen Ecken mit Schnüren an passende Stellen
des Drachenrahmens gespannt werden, ist als Steuer geeignet.
Besser auf alle Fälle ist es, wenn man die Ursache des falschen Fluges finden und beseitigen kann.
c) Vereinigung der Drachen zu Gespannen*) und Anbringung des Meteorographs.
Das Washingtoner Wetterbureau schreibt seinen Beobachtern die Anwendung eines einzigen grossen Drachens
vor. Ursprünglich ist Prof. Marvin zu dieser Empfehlung durch eine mathematische Betrachtung der Ketten
linie gekommen. In seiner mehrfach zitirten Abhandlung von 3 896 „Kite Experiments at the W. B.“ weist
er auf S. 1.12 nach, dass mit demselben Zug eine grössere Höhe erreicht werden kann, wenn dieser Zug am
Ende der Leine angreift, als wenn er auf mehrere Stellen vertheilt ist; z. B. wenn zwei gleiche Drachen
unter einem Winkel von 55° ziehen, und man das eine Mal beide am Ende der Leine vereinigt, ein ander
mal den zweiten erst anheftet, wenn der Winkel der Leine mit dem Horizont auf 25° herabgegangen ist, so
kann bei sonst gleichen Umständen in letzterem Falle 6% weniger Höhe erreicht werden, bis die Leine am
Haspel horizontal wird. Das ist nun freilich ein geringer Verlust, wenn dem andere wichtige Vortlieile
gegenüber stehen, und a. a. 0. führt Prof. Marvin selbst zu Gunsten der Drachengespanne an: die grössere
Gleichmässigkeit des Zuges, grössere Sicherheit gegen Unfälle, die Möglichkeit nach Bedarf und Windstärke
eine grössere oder kleinere Drachenfläche anzuwenden, gleichmässigere Vertheilung des Zuges auf die Leine,
der bei einem einzigen Drachen dessen Maximum am oberen Ende hat, endlich der Vortlieil, beim Einholen
den Zug allmählich durch Abspannen der unteren Drachen zu verringern. In dem neuesten „Report of the
Chief of the Weither Bureau“, 1897—98, heisst es aber auf S. 14 kurzweg, die Praxis einiger Forscher,
kleinere Drachen „in tandem“ fliegen zu lassen, erweise sich als viel weniger befriedigend, als die des
Weatlier Bureaus, einen grossen Drachen zu verwenden; der letztere sei unter kritischen Umständen oder
ungünstigen Bedingungen des Fluges weit leichter zu behandeln und sei „ausserdem“ wirksamer. Es ist
nicht zu vergessen, dass der erklärte Zweck des Weatlier Bureaus der ist, ein Instrument von nur 1 kg Ge
wicht auf eine Höhe von nur etwa 1 eugl. Meile (1605 m) zu lieben.
Alle Andern, die sich eingehend mit der Verwendung von Drachen zur Ausübung eines starken und
gleichmässigen Zuges beschäftigt haben, sind zu dem Ergebniss gekommen, dass die Verbindung mehrerer
Drachen an einer Leine vortheilhafter und namentlich bequemer ist.
So sagt Hargrave in seinem Vortrage in London am 26. Mai 1899 (Aeronaut. Journ., Juli 1899, S. 50
und 51): „Large kites are not to he recommended“. „Äs each kite is added to a tandem, the team in-
creases in steadiness, tliere is no yawing and darting about; ... fly the sinailest one first...“
Baden-Powell sagt auf S. 36 des Jahrgangs 1898 desselben Journals: „Small kites are handier— tliey
are light er for a given area, and if one becomes damaged it is more easily replaced, and if an accident
*) Von den Amerikanern als „flying the kites in tandem 1- bezeichnet.