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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 1901 No. 1 —
klebte (Fig. c.), welche die vorwärtstreibende Wirkung von Hargrave’s Vortex verstärken sollten. Doch war
der Vortheil dieser Einrichtung nur bei sehr spitzem Einfallswinkel des Windes beträchtlich; war dieser
Winkel grösser als 10° (bei Drachen ist er meist über 20°), so fand Herr Merrill wenig Wirkung von ihr;
er vermutliet, dass es bei solchen Winkeln nur vorübergehend zur Bildung des Vortex kommt. Ueber die
Luftbewegung und Druckvertlieilung auf so gestellten und geformten konkaven Oberflächen, wie sie die
Drachen aufweisen, weiss man noch äusserst wenig.
Für den vorderen Tlieil der Wölbung, der nach Hargrave’s angeführter Darstellung steif sein muss,
wurde auf dem Aeronaut. Obs. in Berlin-Tegel, nach dem Vorgänge vom Blue Hill, im Jahre 1900 Fournier-
holz angewandt, das unter das Zeug geleimt wurde; seit 1901 verwendet man daselbst mit gutem Erfolge
an dessen Stelle ganz dünnes Stahlblech, da das Holz Neigung zum Werfen zeigt und nicht dauerhaft genug
ist. In Trappes und im Washingtoner Systeme sind zu den Aufstiegen keine gewölbten Drachenflächen zur
Verwendung gekommen, ebensowenig bis jetzt in Hamburg.
Auch die Gestaltung des hinteren Endes der Fläche ist von Einfluss, insbesondere scheint eine leichte
Aufwärtsbiegung desselben, also eine flache S-Form, wie sie beim Vogelflügel im Fluge eintritt, günstig Bil
den Flug zu sein, doch fehlt es noch an genauen Versuchen darüber.
4. Abschnitt.
Die verschiedenen Typen von Drachen.
Die gewöhnlichen Bapierdrachen der Knaben haben so wenig Hubkraft und fliegen in der Regel so
unruhig und unter einem so geringen Höhenwinkel, dass sie für ernstere Zwecke nicht zu gebrauchen sind.
Sie mussten also vervollkommnet werden, und zwar je nach dem verfolgten Ziel in verschiedener Weise.
Will man einen Drachen einen Gegenstand schleppen lassen, z. B. eine Trosse von einem gestrandeten Schiff
ans Land, so kommt es hauptsächlich nur auf die Kraft des Zuges, daneben eventuell auf Lenkbarkeit und
schnelle Herstellbarkeit des Drachens an. Will man dagegen meteorologische liegistrir-Apparate auf grosse
Höhen heben, so muss man Drachen haben, die gleichzeitig völlig stabil sind und möglichst steil stehen,
weil bei Drachen, die unter geringem Höhenwinkel steigen, das Gewicht der Leine sehr bald jede weitere
Erhebung unmöglich macht. Will man zu ltekognoszirungszwecken einen Menschen heben, so sind grosse
Hubkraft und Stabilität zwar in noch höherem Maasse erforderlich, allein da dabei nur Höhen von 10 bis
100m über dem Boden angestrebt werden, so können die Mittel zur Erreichung dieser Zwecke tlieilweise
andere sein. So ist es zu erklären, dass für militärische Zwecke einfache Drachenformen benutzt werden,
die den Meteorologen wegen ihrer geringen Stabilität oder des kleinen Höhenwinkels, den sie erreichen,
sehr unvollkommen erscheinen;*) denn wegen der geringen für diese Zwecke erforderlichen Länge der Leine
ist es von geringem Belang, ob der Winkel, den die Leine mit dem Boden macht, um einige Grad grösser
ist oder nicht, und kann die Stabilität durch mehrere, weit auseinandergehende Halteleinen in genügender
Weise gesichert werden.
A. Minebenif/e Drachen. Die gewöhnlichen Spiel-Drachen waren bis vor etwa zwei Jahren fast
alle von dieser Art. ln Hamburg ist die sechseckige Form die beliebteste; ihr Gerüst besteht aus drei
Stöcken, die sich im Mittelpunkt kreuzen, und von denen einer (der horizontale) um etwa '/4 kürzer ist,
als die beiden anderen. Wenn nicht zu klein und sorgfältig gemacht, fliegen diese Drachen mit langem
Schwanz recht ruhig, aber nicht hoch, selten erreichen sie einen Winkel von 45° über dem Horizont.
Oft erweist sich zudem diejenige Schwanzmenge, die nötliig ist, um sie in starkem Winde eben nur stabil
zu halten, in flauem Winde als zu schwer für sie. Sie sind daher weder für sehr grosse Höhenunterschiede,
noch für sehr langdauerndes Fliegen recht geeignet. Die Fesselung geschieht hier stets so, dass die Bucht**)
*) Auf S. 261 des Jahrgangs 1S9S vom „Quart. Journ. of tlie R. Met. Soc.“ theilt Herr Rotcli mit, dass die Drachen
von Baden-Powell auf dem Blue Hill probirt, aber nicht genügend stabil in Winden von veränderlicher Stärke befunden
worden sind.
**) Die Verzweigung (seemännisch „Hahnepot“) der Leine am Drachen, englisch „bridle“, wird in Hamburg stets
„Bucht“ genannt.