W. Koppen: Erforschung der freien Atmosphäre mit Hülfe von Drachen.
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für gleiche Festigkeit mir etwa dasselbe Gewicht wie Stahldraht, aber ungefähr dieselbe Dichte wie Hanf-
schnur; abgesehen von dem ungeheuren Preisunterschied, muss also schon die dreimal grössere Wirkung
des Winddrucks auf die Leine auch dieses Material für Drachenleinen ausgeschlossen erscheinen lassen.
Nur für kurze Verbindungsstücke ist gute Hanf- oder Ramie-Schnur nicht zu entbehren, und für Höhen
unter 300 m ist sie wegen ihrer viel bequemeren Handhabung auch für die ganze Leine dem Draht vorzu
ziehen, der zwar, so lange er unter Spannung und trocken bleibt, ein vorzügliches Material ist, aber sobald
er ausser Spannung kommt oder nass wird, grosse Vorsicht in der Behandlung verlangt.
In der Zeitschrift „Science“ vom 5. Oktober 1900 giebt Herr Fergusson eine Tabelle über die Durch
messer, Gewichte und Zugfestigkeiten von Stahldraht („Musikdraht“) nach den Angaben von zwei grossen
amerikanischen Firmen, für alle Drahtnummern von 10 bis 30; ich entnehme daraus die folgenden acht
Bestimmungen:
Nummer
Durchmesser
mm
Gewicht
kg/km
T
(Zngfestigk.)
TI tu
10
0.61
2.16
85
40
12
0.71
3.08
113
37
14
0.81
4.00
140
35
16
0.91
5.00
162
32
18
1.02
6.37
189
30
23
1.29
10.00
281
28
28
1.80
20.00
533
27
30
1.98
24.39
657
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Der verzinkte Gussstahl-Klaviersaitendraht von Felten und Guilleaume, mit dem die Drachenstation
der Seewarte gegenwärtig arbeitet, hat nach Mittheilung dieser Firma eine Zugfestigkeit von 220 bis 240 kg
pro Quadratmillimeter Querschnitt; es ergeben sich daraus folgende Zahlen, mit denen auch die von Ass
mann im „Wetter“, 1900, S. 153, angegebenen Wertlie übereinstimmen. Sie sind merklich ungünstiger, als die
von Fergusson für unverzinkten Stahldraht angeführten, aber der verzinkte Draht ist viel angenehmer zu
handhaben.*)
Durchmesser . . . .
0.7 mm
0.8 111m
0.9 mm
1.0 mm
Querschnitt
0.385 qmm
0.503 qmm
0.636 qmm
0.785 qmm
Zugfestigkeit (T) ....
85 kg
111kg
140 kg
173 kg
Gewicht pro km (tu). .
3.2 »
4.2 »
5.3 »
6.6 ^
Die Grösse Thv oder die sogenannte Reisslänge beträgt also für Draht von dieser Art etwas über
26 km. Will man mindestens für V stets mit 2facher Sicherheit arbeiten, so muss man also t'/iv nicht über
13 hinausgehen lassen, also für 0.7er Draht 42 kg, für 0.8er 55 kg, für 0.9er 69 kg als Belastungsgrenze
festsetzen. Ist 6 = 60°, so sollte dabei, wenn nichts als das Gewicht der Leine zu überwinden wäre, der
Drache mit solchem Draht bei diesem Zuge 6‘/2 km hoch steigen können und selbst mit Hanfschnur, bei
der T/w im ganzen etwa 10 beträgt, noch ungefähr 2'/i km. Thatsächlich werden jedoch nur weit geringere
Höhen erreicht, solange man keine Hülfsdrachen hinzuspannt. Theilweise liegt dies daran, dass man aus
Vorsicht mit viel geringeren Spannungen gearbeitet hat, als oben angenommen wurde; thatsächlich hat bei
den Versuchen der Seewarte t'¡tu selten den Werth 7 überstiegen. Theilweise liegt es aber auch an anderen
Gründen, vor allem am Winddruck auf die Leine.
Leider sind auch hierüber nur sehr wenige Beobachtungsdaten zu meiner Verfügung. Um aber wenig
stens einige Anhaltspunkte zu bieten, stelle ich im folgenden diejenigen Winkel ß', bei denen entweder mit
dem Einholen des Drachens begonnen oder der erste Hülfsdrachen zum Tragen des Drahtes beigespannt
wurde, für 19 Aufstiege in Hamburg und 10 Aufstiege im Stationsnetze des Washingtoner Instituts zusammen.
Mit Ausnahme des ersten von Hamburg sind alle diese Aufstiege mit Drachen eines und desselben Modells,
jenes von Marvin, gemacht, die meisten mit einem solchen von 6V3 qm Tragfläche, einige von den ameri
kanischen vielleicht mit einem etwas grösseren. Bei 5 von den Hamburger Aufstiegen war 50—100 m über
*) Die älteren, in den Lehrbüchern noch dominirenden Festigkeitsbestimmungen von Frankenheim (1835) und Wert
heim (1S44) sind für den heutigen Gussstahldraht viel zu niedrig; ersterer fand für Stahldraht 61—121 kg, letzterer sogar
nur 70 kg (im angelassenen Zustande 40 kg) pro Quadratmillimeter, also nur etwa (/3 der Festigkeit des verzinkten, */i von
jener des unverzinkten heutigen Klaviersaitendrahtes.
Archiv 1901. 1-