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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 1901 No. 1 —
Bestellung eines passenden fahrbaren Haspels. Als Anleitung diente dabei besonders die damals eben er
schienene Abhandlung von Fergusson über die Drachenversuche auf dem Blue Hill.*) Die Drachen hatten
nur l l /i bis 2 qm Tragfläche und mussten vorläufig an Schnur aus der Hand aufgelassen werden. In etwas
grösseren Dimensionen konnten diese Versuche erst vom 9. September an ausgeführt werden, nachdem die
Winde geliefert worden war und ich eine bezahlte Hülfskraft für einige Wochen erhalten hatte. Bis dahin
hatte die freiwillige Hülfe von Knaben und Familienmitgliedern ausreichen müssen. Nun konnte Stahldraht
als Drachenleine zur Verwendung kommen und konnten die Drachen zu Gespannen bis zu 6 qm Gesamt
fläche vereinigt werden. Während die vorhergehenden Versuche auf verschiedenen frei gelegenen Plätzen
im NW von Hamburg - Altona stattfanden, von denen der Altonaer „Alte Exerzierplatz" neben der Kieler
Bahn der geeignetste war, geschahen die weiteren ausschliesslich auf dem Spielplatz auf der „Hohen Weide“
in Eimsbüttel, weil der daneben gelegene Knabenhort die Möglichkeit bot, die Winde und das übrige Material
ohne allzuviel Zeitverlust in Sicherheit zu bringen. Die Möglichkeit, den Eimsbiitteler Knabenhort, durch
das Entgegenkommen seines Vorstandes, als Unterkunftsraum sowohl wie als Werkstatt zu benutzen, war
für die Versuche in diesem ersten Stadium derselben von entscheidender Bedeutung.
ln. dieser Weise wurde vom 3. September bis zum 15. Oktober abwechselnd mit Drachen experimentirt
und Drachen gebaut. In den folgenden Monaten ruhten die Versuche, nur wurden zwei oder drei Mal kleine
Drachen neuen Modells gebaut und probirt, um über einige Fragen der Technik ins Reine zu kommen. Auch
nach dem Wiederbeginn der regelmässigen Arbeit, der provisorisch Ende April, definitiv aber erst Ende Juni
stattfand, nahmen diese tastenden Versuche einen grossen Theil der Zeit weg, da sowohl der Bau als die
Handhabung der Drachen nur nach Beschreibungen vorgenommen werden konnte, während doch viele der
Einzelheiten, von denen hier der Erfolg abhängt, nur durch Augenschein schnell und sicher erlernt werden
können.
Auf eine Eingabe der Seewarte an die Domänen-Verwaltung des Hamburger Staates hat die letztere
im Frühjahr 1899 ein geeignetes Stück hamburger Staatslandes für die Versuche gegen jährliche Zahlung
einer blossen Rekognitionsgeblihr überwiesen, das zwar nur einen schmalen Streifen von Vj Hektar Fläche
darstellt, aber nach Südosten mit 220 m langer Grenze an den ausgedehntesten, von Bäumen, Häusern und
Wassergräben freien Wiesenkomplex grenzt, der innerhalb von 3 km Entfernung von der Seewarte zu finden
ist; dessen zunächst anstossender Theil, l*/4 ha gross, ist ein kleiner Exerzierplatz für Rekruten, dessen Be
nutzung bei den Aufstiegen der Seewarte ausdrücklich zugebilligt ist. Fig. 1, Taf. 1, giebt einen Situationsplan
dieser beiden Landstücke. Nach NW zu grenzt das Landstück der Seewarte an eine wenig befahrene
Strasse (die „Schlankreye“), hinter -welcher der Isebek-Kanal und weiterhin ein erst in Bebauung begriffener
Theil Eimsbüttels folgen; auch von dieser Seite war also der Wind, wenigstens bis zum Sommer 1901, nur
wenig behindert. Die Lage ist in der That so günstig, wie man sie inmitten einer Grossstadt selten finden
kann, zudem das Landstück auch vou meiner Wohnung kaum 5 Minuten entfernt ist, was eine wesentliche
Bedingung für das Gelingen des Unternehmens war, da ich meine Dienstzeit nur zum Theil demselben
widmen konnte.
Nach diesen Vorbereitungen konnte indessen zu den eigentlichen Versuchen erst geschritten werden,
nachdem der Seewarte die nöthigen Geldmittel für diesen Zweck bewilligt waren, da im Etat derselben keine
Mittel dafür verfügbar waren. Dieses geschah durch Zuweisungen aus dem Versuchsfond der Kaiserlichen
Marine, durch Verfügungen des Herrn Staatssekretärs des Reichs-Marine-Amts vom 7. Juni 1899 (3000 JH),
vom November 1899 (800 jVt.), vom Juni 1900 (3000 J\t.) und vom Juli 1901 (3000 .Al.).
Nach den für die Verwendung dieser Gelder geltenden Bestimmungen und nach deren beschränktem Be
trage konnten die Arbeiten wesentlich nur in den Monaten Juli bis November gefördert werden und mussten
sie im April und Mai gänzlich unterbleiben.
Zunächst wurden im Sommer 1899 auf dem erwähnten Grundstück zwei Hütten aufgestellt, eine dreh
bare (a, Fig. 1) von 2.1X2.1X2.4 m Grösse zur Aufnahme des Haspels and eine feste (b) von etwa 3X3X3 m
Grösse, die als Aufbewahrungsort für die Drachen und als Werkstätte dienen sollte; letztere musste im
Sommer 1900 auf die doppelte Grösse erweitert werden, besonders weil der ursprüngliche Plan, zusammen
legbare Drachen zu verwenden, sich als unausführbar erwies. Wenn auch noch immer ziemlich eng, genügen
jetzt die Hütten dem Bedürfniss leidlich gut. Im Winter wurde ein Raum im Gebäude der Seewarte als
Werkstatt benutzt.
“) In ,,Annals of the Astron. Observ. of Harvard-College“, Vol. XLII.