No. 1
Die Vorausberechnung der Sonnenfinsternisse
und ihre Verwerthung zur Längenbestimmung.
Von ])r. C’nrl Stechert.
Einleitung.
Es wird sowohl von Seeleuten wie von Forschungsreisenden meistens verabsäumt, bei Sonnenfinster
nissen die Kontaktmomente zu beobachten und diese Daten für die Längenbestimmung zu venverthen. Eine
solche Unterlassung ist aus dem Grunde zu bedauern, weil unter normalen Verhältnissen die in dieser Weise
erhaltenen Längen bedeutend zuverlässiger sind als die aus Monddistanzen und Mondhöhen abgeleiteten, und
weil andererseits die Beobachtung seihst äusserst leicht ausführbar ist; man hat es nicht einmal, wie meistens
hei Sternbedeckungen, mit einem optisch schwachen Phänomen zu thun, sondern man ist im Stande, schon
mit Hülfe eines massig guten astronomischen oder terrestrischen Fernrohrs, dessen öcular mit einem Sonnen
glase versehen ist, brauchbare Beobachtungswerthe zu erhalten.
Die Vernachlässigung der Sonnenfinsterniss-Beobachtungen ist hauptsächlich auf zwei Gründe zurück
zuführen. Es bedarf erstens einer genäherten Vorausberechnung der Zeiten und Positionswinkel der Ränder
berührungen, eine Arbeit, welche bei Benutzung des üblichen Näherungs Verfahrens ziemlich zeitraubend und
wegen der Seltenheit ihrer Anwendung den Seeleuten und Forschungsreisenden nicht geläufig ist; ohne eine
solche Vorbereitung aber wird es kaum gelingen, vor allem den ersten Moment der Finsterniss mit der
erforderlichen Zuverlässigkeit aufzufassen. Zweitens verlangt die Verwerthung der Sonnenfinsterniss- Beob
achtungen für die Längenbestimmung nach den strengen Fonnein von Hansen oder Besscl eingehende
theoretische Studien, welche man bei Seeleuten und Forschungsreisenden wegen der Vielseitigkeit ihrer
Berufspflichten wohl kaum voraussetzen darf. — Der vielleicht noch in Betracht zu ziehende Ausweg, ein
Formelsystem aufzustellen und dessen schematische Benutzung ohne theoretische Begründung für den vor
liegenden Zweck zu empfehlen, würde aber wegen der Länge der ganzen Rechnung leicht zu Ueberlegungs-
und Rechnungsfehlern Veranlassung gehen und deshalb ungeeignet sein. — In richtiger Erkenntniss dieser
Schwierigkeiten wird in den meisten nautischen Lehrbüchern und in den Anleitungen zu wissenschaftlichen
Beobachtungen auf Reisen — soweit diese Werke nicht für die Benutzung durch Fachastronomen von vorne
herein bestimmt sind — weder die Vorausberechnung der Sonnenfinsternisse noch deren Verwendung zur
Längenbestimmung behandelt.
Es soll nun durch die vorliegende Abhandlung der Versuch gemacht werden, die beiden erwähnten
Probleme durch unmittelbare Anlehnung an die Theorie der Sternbedeckungen, deren Kenntniss voraus
gesetzt werden darf, zu lösen. Was die Vorausberechnung anbetrifft, so wird dieselbe nach der gleichen
Methode gegeben werden, welche im Jahrgange 1896 dieses Sammelwerkes für die Vorausberechnung der
Sternbedeckungen in Vorschlag gebracht worden ist. Die hier eintretende Erweiterung des Problems macht
es allerdings nothwendig, einzelne Theile der Entwickelung in etwas grösserer Schärfe als hei den Stern
bedeckungen erforderlich durchzuführen. Da aber dennoch ein grosser Theil der früheren Betrachtungen
unmittelbar auf den vorliegenden Fall übertragen werden kann, so wird, um Wiederholungen zu umgehen,
an verschiedenen Stellen auf die frühere Abhandlung Bezug genommen werden. Auch soll zur Vermeidung
von Irrthümern im folgenden die Numerirung der Paragraphen, der Figuren, der Tafeln und der Gleichungen
Archiv 1899. 1.
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