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Full text: 22, 1899

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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 1S99 No. 5 — 
jene völlig unbrauchbar seien oder doch nur eineu sehr beschränkten Werth hätten. Die Wahrheit liegt 
auch hier, wie gewöhnlich, in der Mitte; allein ein richtigeres oder doch wenigstens ein gerechteres Urtheil 
finden wir bei solchen, welche von Wind und Wetter in hohem Grade abhängig sind und welche, vertraut 
mit den Grundlehren der ausübenden Witterungskunde, zu beurtheilen im Stande sind, warum in einzelnen 
Fällen der Inhalt der Wettervorhersagen den nachfolgenden Thatsachen nicht entspricht und wie hiernach 
die Wettervorhersage abgeändert werden muss. 
Ein wunder Punkt in der Wettertelegraphie ist die ausserordentliche Verspätung der Wetterdepeschen 
und damit auch die Verspätung der Mittheilung der Wettervorhersagen an das Publikum. An der Seewarte 
werden die Wettervorhersagen erst um 4 bis 4’/ 2 Uhr nachmittags aufgestellt und können also erst spät 
abends oder erst am andern Morgen zu Händen des Publikums gelangen. Hiermit aber ist der Landwirt 
schaft nicht gedient, indem sie nicht in der Lage ist, hierauf hin ihre Dispositionen zu treffen. Gegenwärtig 
ist das ßeichsmarineamt und das Reichspostamt in Verbindung mit der Seewarte in dankenswerther Weise 
eifrigst bemüht, eine sehr erhebliche Beschleunigung der zur Aufstellung von Wettervorhersagen nothwendigen 
Wetterdepeschen herbeizuführen, so dass es ermöglicht wird, die Wetterprognosen schon am Vormittage 
auszugeben und allseitig zu verbreiten. Wir haben allen Grund zu der Annahme, dass diese Bemühungen 
von Erfolg begleitet sein werden und können nur wünschen, dass diese Einrichtung zu einem internationalen 
Systeme sich rasch entwickelt, so dass jede Zentralanstalt, ja jede wichtigere Stadt schon IV2 Stunde nach 
der Morgenbeobachtung im Vollbesitze des wettertelegraphischen Materials sich befindet. Indessen würden 
wir uns täuschen, wenn wir zu der Auffassung kämen, dass hiermit den Bedürfnissen und den Wünschen 
der Landwirthschaft — denn um diese handelt es sich hauptsächlich — in befriedigender Weise entsprochen 
sei, vielmehr ist hiermit eine Hauptfrage noch bei weitem nicht gelöst, welche den Kernpunkt der ganzen 
ausübenden Witterungskunde bildet. Es handelt sich hier darum, die Wettervorhersage in Bezug auf ihre 
Treffsicherheit zu erhöhen, sie also zuverlässiger zu machen. Wenn wir nun die Erfolge näher ins Auge 
fassen, welche wir vor etwa 20 Jahren hatten und welche wir gegenwärtig aufweisen können, so muss aller 
dings ein erheblicher Fortschritt konstatirt werden, welcher um so mehr ins Gewicht fällt, als es sich um 
eine Sache handelt, welche für das nationale Wohl von eminenter Bedeutung ist. Das ist der Gedanke, der 
uns ermuthigt, auf der einmal beschnittenen Bahn unverdrossen fortzuscln-eiten, wenn wir uns leider auch 
gestehen müssen, dass das lang ersehnte Ziel — die sichere Vorherbestimmung des Wetters — noch in 
weiter unabsehbarer Ferne liegt. Fast hat es den Anschein, als wenn wir an der Grenze unserer Leistungs 
fähigkeit stehen und dass der weitere Fortschritt davon abhängig sei, dass neue Bahnen eröffnet werden, 
auf denen unsere Forschungen erfolgreich dem Ziele nähergeführt werden. So dürften die Untersuchungen 
der atmospärischen Verhältnisse der oberen Luftschichten, der gesetzmässigen Aufeinanderfolge grösserer 
Zeitabschnitte mit gleichem Witterungscharakter, der Beziehungen des Wetters auf dem Atlantischen Ozean 
zu demjenigen in unseren Gegenden zu bedeutungsvollen, vielleicht unerwarteten Ergebnissen führen; wir 
wollen es hoffen. 
Dabei bleibt noch ein grosser, wohl der schlimmste Missstand zu beseitigen, ein Missstand, welcher 
der Nutzbarmachung der Wettervorhersagen von jeher so schädlich im Wege stand und welcher trotz so 
vieler und eifriger Bemühungen nicht gehoben werden konnte. Es ist dies die Urtheillosigkeit des Publikums 
in Bezug auf die Wettervorhersagen. Das Publikum sieht die Wettervorhersagen als Orakelsprüche, als 
Prophezeihungen an und unfähig, die unvermeidbaren Misserfolge, die naturgemäss gerade nicht selten sind, 
mit gerechtem Maassstabe zu beurtheilen, oder die Wettervorhersagen nach den jeweiligen Aenderungen zu 
modifiziren, kommt es sehr häufig zu der Ansicht, dass die Wettervorhersagen entweder gar keinen oder 
keinen nennenswerthen Werth haben, und dass sie vor allem mehr oder weniger unbrauchbar seien. In Zu 
sammenhang mit dieser Urtheillosigkeit steht die zweifellose Thatsache, dass Wettervorhersagen, welche auf 
den vermeintlichen Einfluss des Mondes sich gründen, und deren Unhaltbarkeit von den verschiedensten 
Seiten sowohl theoretisch als empirisch streng wissenschaftlich nachgewiesen wurde, trotzdem noch eine un 
glaubliche Verbreitung und eine sehr grosse Anzahl von Anhängern — leider selbst in gebildeten Kreisen — 
finden. 
Und doch sind die Grundsätze, welche der Aufstellung von Wettervorhersagen zu Grunde liegen, so 
einfach und so gemeinverständlich, dass sie auch von elementar Gebildeten leicht verstanden und angewandt 
werden können, so dass sich jeder leicht ein eigenes begründetes Urtheil über den Verlauf der jeweiligen 
Witterungserscheinungen auf Grundlage der täglichen Wetterkarten bilden kann.
	        
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