Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 1899 No. 4 —
Gradienten auf dem offenen Meere zwischen 40—65° N-Br wachsen im Verhältniss zur Breite von 69—75°.
der Wind schneidet hier also die Isobaren unter einem Winkel zwischen 21—15°. Als eisbedecktes Meer
kommt hier nur die Ostküste Grönlands nördlich von 60° N-Br in Betracht. Für sie stellt sich die Ab
lenkung auf nur 58 — 59°. Die Windrichtung ist im grössten Theile des Gebietes SW, entsprechend dem
ziemlich parallelen Verlauf der Isobaren quer über den Ozean von W nach E. Wenn auch diese Richtung
die herrschende ist, kommen indess an der französischen und englischen Küste sowie den Shetlandinseln
und den Färöern im Sommer häufig NW, im Frühling und Herbst oft andauernd E-Winde vor. 37 ) Be
sonders im Busen von Biscaya ist die Richtung des Windes im Laufe des Jahres recht veränderlich.
Zwischen den Azoren und Portugnl dreht der Wind über W nach NW unter dem Einflüsse des Luftdruck
maximums, noch verstärkt durch das sekundäre Minimum über der iberischen Halbinsel. Während des
Winters ist jedoch auch hier die SW-Richtung vorherrschend. Südlich von Island in der Irminger See
und westlich von Grönland über der Davisstrasse haben wir zwei schön ausgeprägte Luftwirbel, in denen
alle Richtungen nach und nach auftreten. Südlich von Island sind demnach SE—E-Winde, an der grön
ländischen Ostküste NE—N-Winde, ESE-Winde, im Sommer meist SW, an der Küste von Labrador
NNW—W.
Die Windstärke weist im Gebiete des atlantischen Ozeans nördlich von 40° drei Maxima auf. Das
grösste derselben mit 5.7 m pr. sek nimmt die Mitte dieses Meeresraumes ein. Ein zweites, nur 2 m
pr. sek, befindet sich zwischen dem Hauptminimum und Ostgrönland, an der Eisgrenze. Das dritte endlich
liegt zwischen dem Luftdruckminimum der Davisstrasse und Nordlabrador mit etwa 4.7 m pr. sek. Dieses
und das Hauptwindstärke-Maximum werden von der Linie umschlossen, welche alle Punkte von der Wind
stärke 3.5 m pr. sek (Beaufort II) verbindet und die fast das ganze Gebiet mit Ausnahme des nördlichen
Theiles umfasst. Windstille herrscht in den Luftdruck-Maximis und Minimis, deren Lage auf Seite 4 näher
angegeben wurde.
LTm auf dieser so gewonnenen Grundlage weiter bauen zu können, ist es nothwendig, sich zu über
zeugen, wie die theoretisch berechneten Werthe mit den aus der Erfahrung gewonnenen übereinstimmen,
zunächst also die Allgemeingültigkeit der Formeln festzustellen. Schon Sprung hat 38 ) darauf hingewiesen,
dass man die Uebereinstimmung der berechneten Windstärke mit der gemessenen keine gute nennen könne,
indem bei SW-Winden die gemessene um das 2 '/ 2 fache hinter der berechneten zurückbleibt, wie überhaupt
durchgängig die auf theoretischem Wege gefundenen Werthe stets zu gross ausfallen. Im allgemeinen
pflegen die Abweichungen viel zu gross zu sein, um sich etwa aus beschränkenden, unzutreffenden Vor
aussetzungen erklären zu lassen. Mohn selber hat auch schon diese Mangelhaftigkeit für Landstationen
erkannt, für das offene Meer fand er eine bessere Uebereinstimmung, jedoch auch nur irrthümlicher Weise,
worauf erst später (Seite 12) eingegangen werden kann. Zur Erklärung dieses Umstandes sagt er folgendes: 39 )
„Alle unsere Anemometer befinden sich iu einer mehr oder weniger hohen Uebergangszone, innerhalb welcher
die Windgeschwindigkeit mit der Entfernung von der reibenden Erdoberfläche stetig wächst und erst all
mählich in die Geschwindigkeit des grossen, von der Erdoberfläche nur mittelbar influenzirten Luftstromes
übergeht; letzterer ist es, welcher sich nach den in den Gleichungen enthaltenen Gesetzen bewegt.“ Uns,
die wir die stromerzeugende Kraft des Windes studieren wollen, interessirt aber nur die Luftbewegung der
untersten Schicht über dem Meeresspiegel, sodass darum die Windformeln für diesen Zweck unbrauchbar
sind. Darauf neue Formeln aufzustellen, wird man verzichten müssen, da solche, die allen bei der Luft
bewegung der untersten Schicht betheiligten Faktoren Rechnung tragen wollen, ausserordentlich komplizirt
sein werden. Man wird darum wohl am klügsten thun, wenn man, wie Professor Krümmel empfohlen
hat 40 ), sich an die Thatsachen hält und aus den täglichen synoptischen Wetterkarten 41 42 ) des nordatlan
tischen Ozeans rein empirische Beziehungen zwischen Gradienten und Windstärke ableitet, wozu von Kapt.
Dinklage Vorarbeiten vorliegen. ,2 ) Dieses Verfahren liefert zweifelsohne ein für unsere Zwecke brauch
bareres Ergebniss als die analytischen Formeln des barischen Windgesetzes, da keiner der maassgebenden
37 ) Deutsche Seewarte: Segelhandbuch des atlantischen Ozeans. II. Aufl. 1S99. S. 381.
3S ) Sprung: Lehrbuch der Meteorologie. S. 123.
39 ) Zeitschrift der österr. Gesellschaft für Meteorologie. 1877. S. 59.
4 ") Krümmel: Ozeanographie. II. S. 360.
*') Deutsche Seewarte: Tägl. synopt. Wetterkarten des nordatlantischen Ozeans.
42 ) Deutsche Seewarte Der Pilot. I. S. 19. Zeitschr. der österr. Gesellschaft für Meteorologie. XIII. 1878. S. 384.