Archiv 1898< 1*
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No. 1,
Ueber die Auflösung nautisch-astronomischer Aufgaben
mit Hülfe der Tabelle der Meridionaltheile (der „Mercator’schen Funktion“).
Von Prof. T)r. ©. Bürgen.
In neuerer Zeit macht sich in nautischen Kreisen mehr und mehr das Bestreben geltend, die allzu
grosse Fülle der zur Erleichterung der astronomischen Rechnungen konstruirten Tabellen soviel wie mög
lich einzuschränken und namentlich die bisher üblichen logarithmisch-trigonometrischen Tabellen durch eine
einzige Tafel, die der Meridionaltheile, zu ersetzen. In der That ist der Rechner, welcher eine Tabelle
benutzt, in welcher nebeneinander die Logarithmen von 6 Funktionen (sin., cosec., tang., cotang., sec., cos.)
stehen, viel leichter einem Irrthum ausgesetzt als derjenige, welcher nur mit einer oder höchstens zwei
Funktionen zu thun hat. Da zu der erwähnten logarithmisch-trigonometrisclien Tabelle in der Regel noch
eine besondere Tabelle für die Grösse log sin \ t- von gleicher bis 1 '/-¿facher Ausdehnung hinzukommt, so
hat der Schiffsoffizier bei seinen Rechnungen über eine sehr beträchtliche Anzahl von Seiten hin- und her
zublättern (ungerechnet die meist vorhandene Tabelle der Logarithmen des sinus kleiner Winkel 90 bis
109 Seiten), während die Tabelle der Meridionaltheile, von Minute zu Minute berechnet, nur 9, und wenn
für 2 Grade die Werthe you 0.1 zu 0.1 Minuten gegeben werden, 11 Seiten umfasst. Der Ersatz der erst
genannten Tafeln durch die Tabelle der Meridionaltheile bedeutet demnach eine nicht zu unterschätzende
Vereinfachung und Beschleunigung der Operationen. Aber dies ist nicht der einzige Vortheil, welchen die
Anwendung der Meridionaltheile bei nautisch-astronomischen Rechnungen gewährt. Bei den meisten dieser
Rechnungen sind nach den gewöhnlichen Methoden die Logarithmen mehrerer (S bis 5 oder 6) verschie
dener trigonometrischer Funktionen algebraisch zu addiren und ist somit viel Gelegenheit zu Irrthum ge
geben; beim Rechnen mit den Meridionaltheilen hat man, ausser in einem besonderen Falle, niemals mehr
als zwei Zahlen zu addiren oder zu subtrahiren, und man hat in der Form, in welcher im nachfolgenden
die Rechnungsvorschriften gegeben werden sollen, nur mit zwei Funktionen zu thun, nämlich mit dein einem
Winkel direkt und dem seiner Ergänzung zu 90° entsprechenden Meridionaltheil (der Funktion und der
Kofunktion), welche nebeneinander stehend, den Uebergang von der einen zur andern, welcher fortwährend
nothwendig ist, zu einer sehr einfachen Operation machen, ohne dass man genöthigt wäre, erst den ent
sprechenden Winkel zu entnehmen. Auch werden bei Anwendung der Meridionaltheile die Rechnungsvor
schriften meistens (nicht immer) erheblich einfacher als bei der Rechnung mit trigonometrischen Funktionen,
doch ist dies, obwohl gewiss ein nicht zu unterschätzender Vortheil, nicht der Hauptvorzug, welcher viel
mehr in der grösseren Gleichmässigkeit, Uebersiclitlichkeit und Einfachheit der Operationen liegt. Endlich
kann gegenüber dem Rechnen mit den trigonomischen Funktionen noch der Vorzug angeführt werden, dass
die Rechnung innerhalb der Grenze der in der Tabelle gegebenen Stellen der Funktionswerthe für alle
Winkel genau ist und man daher nicht genöthigt ist, verschiedene Formeln zu benutzen, wenn der Winkel
sich dem Werthe 0° oder 90° nähert, in welchen Fällen Formeln, die die gesuchte Grösse mittels des cos
resp. des sin geben, unbrauchbar werden.
Die Erkenntniss dieser Vorzüge hat denn auch seit einem Jahrzehnt zur Empfehlung der Anwendung
der Meridionaltheile, oder wie Verfasser sie lieber nennen möchte, weil die Tabelle dabei nicht für die
Breite allein, sondern für beliebige Winkel gebraucht wird, der „Mercator’schen Funktion“, auf nautisch
astronomische Probleme geführt, und namentlich neuerdings sind einige Schriften erschienen, welche hierfür