W. Koppen: Neuere Bestimmungen über das Verhältniss zwischen der Windgeschwindigkeit etc.
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Auch die tägliche und jährliche Periode der Windstärke, die Aufeinanderfolge der verschiedenen Wind
stärken, u. s. w. lassen sich ganz wohl an Stärke-Schätzungen untersuchen.
Dagegen gilt dies nicht für die Unterschiede der mittleren Windstärke oder auch der Häufigkeit be
stimmter Stärkegrade zwischen verschiedenen festen Stationen. Denn wenn die eine Station als mittlere
Windstärke 2.0, die andere 4.0 ergiebt, so kann doch sehr wohl an beiden Stationen der Wind dieselbe
mittlere Stärke 3.0 haben und der eine Beobachter durchweg um 1 Grad zu hoch, der andre um 1 Grad
zu niedrig schätzen. Auch die Vereinigung einiger weniger Stationen zu einer Gruppe eliminirt diesen
Fehler noch nicht, dazu ist er zu gross; besonders dann nicht, wenn diese Vereinigung eben auf Grund der
gleichen mittleren Windstärken geschieht. Koch grösseren Einfluss gewinnt der persönliche Fehler, wenn
man statt der mittleren Stärke die Zahl der „stürmischen Winde“ von einer gewissen Schwelle, z. B. 8 Beaufort
an ermitteln will. Um dies einzusehen, muss man nur beachten, wie rasch die Häufigkeit der höheren
Stärkestufen nach oben hin abnimmt.*) Beispielsweise fand Dr. H.Meyer in Keitum nach fünfjährigen Summen
die Zahl der Winde verschiedener Stärkegrade wie folgt:
0123456789 10 11 12
165 1194 1129 1283 834 506 210 100 32 12 1 0 0
Hätte also ein Beobachter die hier als 7 notirten Winde als 8 geschätzt, so würde er — statt 45 —
volle 145 Beobachtungen mit „stürmischem Wind“ (j>8\ also 3% mal mehr erhalten haben, obwohl er die
Windstärke dabei nur um etwa '/? ihrer Grösse überschätzt hätte.
Um diese persönlichen Einflüsse an einem bestimmten Beispiele zu prüfen, habe ich die Stationen
Keufahrwasser und Heia daraufhin untersucht. In Neufahrwasser wurde von 1875 bis zum 1. Dezember 1894
die Normalbeobachtungsstation der Seewarte durch Hin. Obersteuermanna. D. Lothes versehen, von da ab
durch Hrn. Obersteuermann a. D. Benkendorff. Gleichzeitig wird die Windstärke aber, in der Nähe jener
Station und in ähnlichen Bedingungen, auch auf der Signalstelle Neufahrwasser aufgezeichnet, und zwar vom
1. Juli 1889 bis zum heutigen Tage von Hrn. Leuchtfeuerwärter Weiss, der bis zum 1. März 1880 in Heia
die Signalstelle versehen hatte und seitdem dort durch den Leuchtfeuerwärter Hrn. Kamrath ersetzt ist.
Würden in der Schätzungsweise eines und desselben Beobachters keine Aenderungen mit der Zeit vor sich
gehen, so hätten wir also durch die Aufzeichnungen des Herrn Weiss die Grundlage, um sowohl die per
sönlichen Unterschiede zwischen den übrigen drei Beobachtern, als die räumlichen zwischen Heia und Neu
fahrwasser präzise festzustellen. Das ist nun freilich, wie wir sehen werden, nicht ganz der Fall, aber das
Resultat der Vergleichungen ist auch so lehrreich genug.
Wir wollen je 4 Jahrgänge vor und nach dem Wechsel des Beobachters in Neufahrwasser, 1890—1893
und 1895—1898 vergleichen und zwei ältere Jahrgänge, 1878 und 1879 hinzufügen, wo Herr Weiss noch in
Heia war. Dabei wollen wir drei Gruppen ungewöhnlicher Windstärken unterscheiden, nämlich die Beaufort-
Grade 0—1, 6—7 und 8 — 12. Es ergiebt sich, zuerst nach kälterer Jahreszeit (Oktober bis März) und
wärmerer Jahreszeit (April bis Sept.) getrennt und dann für das ganze Jahr, die folgende Zahl von Be
obachtungen mit diesen Windstärken: (Siehe Tabelle Seite 20).
Wir wollen zunächst nur die Windstärken 8 und darüber ins Auge fassen. Da sehen wir, dass der
gegenwärtige Beobachter der Beobachtungsstation Neufahrwasser in vier Jahren fast 7 mal öfter solche
Stärken aufgezeichnet hat, als der frühere in derselben Zeit. Es fragt sich, wie viel von diesem Unterschied
an der Differenz der Jahrgänge liegt? Die Beobachtungen von Kamrath in Heia ergeben für diese Differenz
nur den Werth von etwas über 8%; diejenigen von Weiss auf der Signalstelle Neufahrwasser allerdings
viel mehr, etwa 200%. Es scheint also, dass die Notirungen des Letzteren nicht unbeeinflusst geblieben
sind von der Auffassung des gleichzeitigen Beobachters der Normal-Beobachtungsstation, was bei zwei Be
obachtern desselben Ressorts am gleichen Ort sehr natürlich ist. Immerhin ist er dem Wechsel dieser
Auffassungen keineswegs ganz gefolgt, und wir sehen, dass er 1890—1893 9 Beobachtungen „stürmischen
Windes“ mehr als Lothes, dagegen 1895—1898 43 Beobachtungen weniger als Benkendorff aufgezeichnet
*) Ueber das Gesetz, nach dem sich die Häufigkeit der verschiedenen Windgeschwindigkeiten ordnet, hat Hr. Sresnewskij
«ine Untersuchung angestellt (in russ. Spr., Zapiski po Gidrografii, 1889, Lief. 2). Er findet es sehr ähnlich dem Maxwell’schen
Gesetze der Geschwindigkeits-Vertheilung unter Gasmolekülen.