No. 1.
Ein Führer durch die meteorologischen Schiffstagebücher der Seewarten
oder die Veröffentlichung von Auszügen daraus.
Von G. KnippinK.
(Mit einer Kartenskizze und einem Anhang.)
I. Einleitung.
Der grösste Schatz der nautisch - meteorologischen Aemter besteht in den handschriftlichen Schiffs-
beobachtungen, deren Bände, dank dem Fleiss und Eifer vieler Kapitäne und Offiziere nach Tausenden
zählen. Dieses umfangreiche, noch täglich wachsende Material, die unentbehrliche Ergänzung der Land
beobachtungen, liegt in manchen Ländern ganz oder theilweise brach, man hört und sieht wenig davon; in
anderen dagegen geht seine Bearbeitung ununterbrochen vor sich, soweit es die Arbeitskräfte und Mittel
gestatten. Aber eine wenn auch noch so bescheidene Veröffentlichung der wichtigsten Beobachtungen in
See, wie sie in mehr als einer Hinsicht erwünscht wäre, ist nirgends durchgeführt worden. Man vergleiche
nun hiermit die meteorologischen Beobachtungen an Land. Jeder Staat, der nicht hinter allen anderen
zurückstehen will, veröffentlicht jährlich, anscheinend ohne die mindeste Rücksicht auf die Kosten, ganze
Bände von Beobachtungen. Geschieht hierin des guten wohl hier und da etwas zu viel, so hat aber auch
jeder ohne Ausnahme, der Geograph, Hydrograph, Architekt und Ingenieur, Physiker und Luftschiffer eben
so gut wie der Meteorologe, ja jeder Privatmann oder Liebhaber der Meteorologie Gelegenheit, wenn er
will, aus erster Quelle zu schöpfen; und wenn auch der grosse Aufschwung der Meteorologie in den letzten
BO Jahren zunächst den Fachleuten zu verdanken ist, so darf doch nicht übersehen werden, dass die An
forderungen und Arbeiten, oft auch die Widersprüche von Nicht-Fachleuten, denen ja die Beobachtungen
ebenfalls zugänglich sind, den Meteorologen vielfach neue Anregungen gegeben und sie in manchen Fällen
zu weiteren gründlichen Studien oder zu einer klareren Darstellung angespornt haben.
In der nautischen Meteorologie liegt die Sache wesentlich anders und ungünstiger. Hier sind alle
ohne Ausnahme, Seeleute und Meteorologen mit eingeschlossen, auf die fertigen Arbeiten der wenigen
Seewarten angewiesen, und nicht im Stande, unabhängig davon auch nur eine kleine Untersuchung selbst
auszuführen, weil ihnen die Beobachtungen fehlen. Den Aemtern selber geht es insofern ähnlich, als ihnen
nur die Beobachtungen des eigenen Landes zur Verfügung stehen, denn vom Ausland liegen ihnen gedruckt
ebenfalls nur die fertigen Arbeiten vor, nicht die Beobachtungen. Allerdings stehen diese handschriftlichen
Fachbibliotheken, wie man die Sammlungen der meteorologischen Schiffstagebücher nennen könnte, nicht
nur jedem offen, der sie benutzen will, sondern die Aemter sind froh, wenn sie gelegentlich tüchtige Mit
arbeiter gewinnen. Dies ändert aber wenig an der Thatsache, dass unter den jetzigen Verhältnissen nur
ein Bruchtheil ihres Inhalts, und dieser meist erst nach Jahren, den Seeleuten in der Form von praktischen,
den Gelehrten in der Form von wissenschaftlichen Ergebnissen zu gute kommt. Die Benutzung erfordert
den Aufenthalt am Orte selbst und eine gewisse Vertrautheit mit den Einrichtungen, die erst durch einige
Uebung erworben wird. Ausserdem haben Aussenstehende meist keine Ahnung davon, wie viel und wie
vielseitiges Material in den Tagebüchern aufgehäuft liegt und der Bearbeitung harrt. Die Zahl der nicht
amtlichen Mitarbeiter ist aus diesen Gründen leider verschwindend klein, während jeder, dem der schnelle
Fortschritt am Herzen liegt, sie möglichst gross wünschen muss.
Avolliv 1896. I
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