E. Engelenburg, C. I.: Aerodynamische Theorie der Gewitter.
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mich betrifft, so habe ich mich beschränkt auf die wichtige Frage: „Was ist die Ursache der Erkal
tung in den Gewitterwolken? Und ich habe aus den italienischen Arbeiten die Ueberzeugung ge
wonnen, dass die beste Erklärung ist: rasche mechanische Ausdehnung in der Wolke in Folge der elektri
schen Entladung, also der Blitze.“ Mühry’s gründlicher Anschauung huldigend, können wir seine Schlussfolge
rung: „in Folge der elektrischen Entladung“ nur bedauern. Mit der Abkühlung durch Ausdehnung hatte
Müh ry den Kern des Problems erreicht, leider gerieth er hier wieder auf eine falsche Spur, vermutlilich, weil
er das Feld der physikalischen Prozesse nicht verlassen konnte. Und in diesem Falle befinden sich auch die
meisten anderen Autoren der Gewittererklärungen. Sie bewegen sich alle im Kreise herum, an dessen Um
fang jeder nach eigener Einsicht Sturmwind, Blitz, Hagel, Hegen, Abkühlung u. s. w. vertheilt hat und wobei
sie dann von einer dieser Erscheinungen ausgehend, den folgenden Prozess aus dem vorhergehenden zu er
klären suchen, ohne dabei je die wahre Ursache erkennen zu können. Der eine erklärt den Hagel aus der
Elektrizität, ein anderer umgekehrt. Nach wieder anderen veranlasst der Regen die Abkühlung und Druck
störung oder umgekehrt. So finden wir die Ursache des einen als Endresultat des anderen, doch aus dem
Kreise heraus kommt keiner. Mühry war bis zum Kern des Labyrinthes, Abkühlung in Folge der Aus
dehnung, vorgedrungen, doch anstatt hier aus dem physikalischen in das ärodynamische Gebiet überzutreten,
entfernt er sich wieder von der Wahrheit, indem er den allerletzten Prozess, die elektrische Entladung, als
Ursache des Anfanges der Abkühlung angiebt.
Nachdem ich auf dem Wege der Versuche zur Erklärung der mechanischen Erscheinungen zu dem
Resultat gekommen war: Jedes Gewitter hat seinen Sitz in einer wirbelnden Bewegung der Luft um eine
horizontale Achse, und nachdem ich gefunden hatte, wie natürlich die mechanischen Vorgänge und physi
kalischen Prozesse sich aus dieser Annahme erklären lassen, fand ich noch eine andere Betrachtungsweise,
welche zur selben Schlussfolgerung führt.
Eine brauchbare Gewittererklärung muss eine ganze Reihe Erscheinungen auf eine und dieselbe Grund
ursache zurückführen. Dieselbe Ursache muss einen Komplex zum Theil ganz anderer, ja selbst entgegen
gesetzter Erscheinungen erklären.
Dabei drängt sich von selbst die Frage auf nach dem Ursprung der enormen Energiemengen und der
plötzlichen gewaltigen Umänderungen der Energie, wie sich diese in Kondensation, Sturmwind, Hagelbildung
und Blitzen kundgiebt. Druckstufe und schnelles Sinken der Temperatur sind fast immer beständige Be
gleiter, welche die Erscheinung einleiten, und deshalb liegt es auf der Hand, die gewaltigen Energie
mengen als eine andere Form der verschwundenen Wärme zu betrachten. Die beträchtliche Temperatur-
Erniedrigung in der Atmosphäre ist also der Anfang aller physikalischen Prozesse, sie bildet zugleich das
Glied der Kette, welches die physikalischen Wirkungen mit den ärodynamischen verbindet. Weil nun Druck
zunahme und Abkühlung als Zwillingsschwestern immer Hand in Hand gehen, so glauben wir nicht zu irren,
wenn wir als primäre Ursache der Abkühlung die schnelle Ausdehnung und die damit zusammenhängende
Luftverdünnung im Zentrum der Temperatur-Erniedrigung betrachten, während Luftverdichtung ausserhalb
vor sich geht. Dieser Vorgang ist am besten zu verstehen durch die Annahme eines horizontalen Luft
wirbels, und in dieser Wirbelung ist sofort die Kraft aufgedeckt, welche den Hagel schwebend erhält und
den Körnern ihre Gestalt und Struktur als Rotationskörper verleiht.
III. Analogie zwischen hydrodynamischen und atmosphärischen Erscheinungen.
Die Hydrodynamik theilt die Bewegung der Flüssigkeiten und Gase in zwei Hauptabtheilungen: n) die
permanente Bewegung, wenn die Flüssigkeitstheile in parallelen Bahnen mit gleichmässiger Geschwindigkeit
forteilen; b) die diskontinuirliche Bewegung, wenn die Flüssigkeit aus einem Aggregat von Fluidmengen auf
gebaut ist, innerhalb welcher sich die einzelnen Theilchen auf ganz verschiedene, unter einander unabhängige
und meistens mehr zusammengesetzte Weise bewegen. Das mathematische Kennzeichen zwischen beiden
Bewegungsarten ist, dass im ersten Falle, auch irrotationelle Bewegung genannt, ein Geschwindigkeits-Potential
vorhanden ist, welches bei der zweiten Art, der rotationellen Bewegung, fehlt.
Die Diskontinuität bezieht sich also auf das Gesetz der Bewegung, doch ist es möglich, dass im Inneren
einer in rotatorischer Bewegung sich befindenden Flüssigkeit durch diese Bewegung ein Vacuum entsteht. Tn
diesem Falle herrscht auch Diskontinuität in der Masse.