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Aus dem Archiv der deutschen Seewarte — 1896 No. 4 —
Maximum, d. h. der Ablenkungswinkel zwischen Gradient und Windrichtung verschwindet, d. li. der Wind
steht senkrecht auf den Isobaren.
Ferrari giebt keine Erklärung, er hält es jedoch nicht für unwahrscheinlich, dass trotz der Beob
achtungen ein kleiner Ablenkungswinkel vorhanden ist.
Koppen sagt: „Die geringe Grösse des Winkels zwischen Gradient und Wind wird theils der Be
schleunigung selbst, theils dem Umstande zuzuschreiben sein, dass die in die Böe hineingezogene Luft vorher
schon ungefähr in der Richtung dieses Gradienten sich bewegte, die untere wegen der starken anticyklo-
nalen Krümmung der Isobaren im Rücken der Böe, die von oben herabkommende wegen der Abwesenheit
dieses Ausläufers der grossen Depression in der Höhe.' 4
Beiläufig sind bereits einige Hageltheorien angedeutet. Der Hagel ist so eng mit dem Gewitter ver
bunden, dass auch die Hageltheorien hier besprochen werden müssen. Ihre Anzahl ist jedoch so gross und
die Gründe, auf die sie sich stützen, so verschieden5 dass nach dem bereits Mitgetheilten, mit Ausnahme
für die Theorie Ferrel’s, davon abgesehen werden muss. Die ältesten Hypothesen datiren bereits von der
Zeit vor Franklin’s Entdeckung her. Neben den vielen terrestrischen Ursachen fehlt es auch nicht wie
für die Elektrizität an kosmischen Erklärungen, z. B. die Schwedoff’sche. Einige wollen den Hagel aus
der Elektrizität entstanden wissen; andere denken sich den Prozess in umgekehrter Folge.
Eine Uebersicht über die Hageltheorien giebt Tomlinson. 81 ) Die bekannteste Hypothese, welche
die Elektrizität als Ausgangspunkt ansieht, ist die von Volta. Er denkt sich kleine Eistheilchen zwischen
zwei verschieden elektrisirten Wolken hin und her pendelnd und durch unterbrochene Kondensation grösser
werdend. Nach Beccareia ballt eine mehr intensive Elektrizität die Eistheilchen zu Hagelkörnern, die
schwachem zu Schneeflocken zusammen.
Die wahrscheinlichste Theorie ist die vonFerrel; doch ist sie sehr schwer mit seiner Gewittertheorie
vereinbar. Bei letzterer ist im Inneren der Erscheinung ein absteigender Luftstrom vorhanden. Den Hagel
erklärt Ferrel dagegen durch einen aufsteigenden Luftstrom im Zentrum eines Tornado. 82 ) „A hailstone
is simply a tornado in which the ascending currents are so strong, and reach so high up into the upper
strata of the atmosphere, that the rain drops are carried up into the cold regions above, and into the
central part within the isobaric and isothermic. surface of the freezing point, wliere they are frozen into
hail.“ In Folge der rotirenden Bewegung ist nun, wie Ferrel zeigt, die Isothermfläche Null im Zentrum
des Tornado viel näher an der Erdoberfläche, als in der Umgebung. In einem Tornado wird die Luft in
der Nähe der Erdoberfläche von allen Seiten angezogen, dabei steigt die Luft in die Höhe und wird Wasser
dampf kondensirt. Auf ihrem weiteren Wege wird die Lufttemperatur stets niedriger, und wenn die Iso
thermfläche Null überschritten wird, gefriert der kondensirte Wasserdampf zu Schnee. Ist zuletzt der ge
frorene Regentropfen durch Anhäufen kleinerer Tropfen zu gross geworden, dann fällt er herunter. In
einem Tornado ist der aufsteigende Luftstrom meistens so stark, dass die Regentropfen oder Hagelkörner
noch höher geführt werden, bis sie seitlich weggeschleudert, hier nach und nach niederfallen. Manchmal
ist der Ursprung eines Hagelkorns nicht ein Regentropfen, sondern eine Schneeflocke; wenn diese nun in
der Schneeregion von Regentropfen angefeuchtet wird, bevor diese noch zu Eis übergegangen sind, dann
entsteht ein Hagelkorn mit schneeigem Kern, das, nachdem es immer schwerer und schwerer geworden und
in der Höhe seitlich abgeführt ist, in der Umgebung des Tornado zur Erde fällt. Fällt das Korn jedoch
in nicht zu grosser Entfernung vom Zentrum, dann wird es von den nach dem Zentrum konvergirenden
Luftströmen von neuem gefasst und in die Höhe geführt. Der ganze Prozess wiederholt sich und das Korn
wird wieder mit einer Eis- und Schneeschicht bedeckt, bis es so schwer geworden oder so weit weggeschleu
dert ist, dass es zur Erde fällt.
Es möge hier noch eine der letzten Theorien von Very erwähnt werden, weil dieser auch der Ge
danke eines horizontalen Wirbels zu Grunde liegt. 83 )
Ehe zur Auseinandersetzung der neuen Theorie übergegangen wird, sei hier ein allgemeiner Rückblick
auf die vorhergehende geschichtliche Einleitung gestattet. Es kann uns nicht wundern, wie kurz nach
Franklin’s Entdeckung die Hypothesen zur Erklärung der Elektrizität, sei es blos der Gewitter oderseies
der Luftelektrizität, im allgemeinen in grosser Anzahl entstanden sind. (Nur einige sind hier mitgetheilt.)
Daraul folgt ein Zeitraum von ungefähr einem Jahrhundert, während welchem nur dann und wann eine Er
klärung versucht wird, bis Mtihry im Jahre 1871 von neuem die Aufmerksamkeit auf das Gewitter hinlenkte,
und zwar vom geographisch-meteorologischen Standpunkte. Dann folgt eine rasche, schnell zunehmende