Dr. C. Stechert: Das Marine-Chronometer und seine Verwendung in der nautischen Praxis
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§ 31. Es bedarf nach den früheren Darlegungen liier wohl kaum noch der Erwähnung, dass es für
die Zuverlässigkeit der Chronometer-Angaben von grossem Vortheile ist, wenn die Temperatur des Auf
stellungsraumes möglichst konstant erhalten werden kann. Selbst wenn die Temperatur-Koeffizienten des
Instrumentes sorgfältig bestimmt sind, oder das Chronometer mit einer guten Hiilfskompensation versehen
ist, wird eine solche Vorsicht sich keineswegs als nutzlos erweisen. Es ist durch vielfache Beobachtungen
dargethan, dass die Temperatur-Koeffizienten mit der Zeit ihre Werthe ändern, ohne dass es gelungen ist,
die Grösse oder auch nur den Sinn dieser Aenderungen, welche für jedes Instrument individuell zu sein
scheinen, irgend einem bestimmten Gesetze unterzuordnen. Wenn es deshalb möglich ist, durch die näherungs
weise erreichte Konstanz der Temperatur im Aufstellungsraume die Fehlerhaftigkeit der Temperatur-Koef
fizienten für das Resultat zum grossen Tlieile illusorisch zu machen, so ist damit gewiss viel gewonnen. —
Dieser Vortheil wird für die nautische Praxis bestehen bleiben, ohne Unterschied, ob das Chronometer mit
einer einfachen Temperatur-Kompensation, oder mit einer Hiilfskompensation versehen ist.
§ 32. Zur weiteren Erörterung der Frage, ob die Hiilfskompensation überhaupt für die Benutzung an
Bord zu empfehlen ist, mögen hier die folgenden Worte des rühmlichst bekannten Chronometer-Fabrikanten
Negus in New York Erwähnung finden. „Man hat in den letzten 30 Jahren wohl nach keiner anderen
Richtung so viel Zeit und Nachdenken aufgewendet und so wenig erreicht, als in der Vervollkommnung der
gewöhnlichen Kompensations-Unruhe. Viele Unruhen sind erfunden, für welche grosse Reklame gemacht
wurde, aber die meisten sind bald in Vergessenheit gerathen, da sie von den Verfertigern nur dazu benutzt
wurden, sich durch die kurzen und unter günstigen Umständen in Observatorien vorgenommenen Prüfungen
einen Ruf zu verschaffen, nicht aber in der Absicht, diese Unruhen bei Chronometern anzubringen, welche
in den Handel kommen sollten. — Die gewöhnliche Unruhe hat die Zeitprobe bestanden und ist, wenn gut
hergestellt und adjustirt, viel zweckdienlicher, als irgend eine der Hülfskompensationen oder eine der bis
jetzt erfundenen vervollkommneten Unruhen.*) Die ersteren sind unzuverlässig in ihren Leistungen, unbe
ständig und aus verschiedenen Gründen Unordnungen unterworfen. Die letzteren zeigen auf See Gänge,
welche von denen am Lande sehr abweichen; die Fehler entstehen durch Erschütterungen, hervorgerufen
durch den Gang der Maschine, oder durch Seegang, oder durch beides, und variiren mit dem Grade der
Erschütterung. Wenn Chronometer mit richtig konstruirter einfacher Unruhe bei gewöhnlichen Temperatur-
Schwankungen keine genügenden Resultate geben, so liegt dies daran, dass ihr Gang bei einer zu hohen oder
zu niedrigen Temperatur am grössten ist, entweder in Folge von Fahrlässigkeit oder Unkenntniss des Ver
fertigers, oder weil demselben Einrichtungen fehlen, um die Instrumente bei. künstlich hergestellten Tem
peraturen zu adjustiren.“ — Den vorstehenden Ansichten scldiessen sich auch andere Autoritäten auf dem
Gebiete der Chronometrie an. Es lässt sich nun freilich nicht leugnen, dass gerade während des letzten Jahr
zehnts sich gut ausgeführte Hülfskompensationen auch an Bord voll und ganz bewährt und ein sehr regel
mässiges Verhalten gezeigt haben, doch bleibt immerhin das praktische Bedenken, dass man derartig kompli-
zirte Mechanismen, wenn einmal eine Störung eintritt, nicht jedem Chronometermacher — besonders im Aus
lande — zur Reparatur anvertrauen darf. Wird also durch irgend einen Zufall eine plötzliche Reparatur notli-
wendig, so kann ein Kapitän, welcher auf die Benutzung nur eines Chronometers angewiesen ist, in grosse
Verlegenheit gerathen. — Im allgemeinen hat ausserdem die Erfahrung gezeigt, dass das einfach kompensirte
Chronometer bei richtiger Behandlung und unter Benutzung sorgfältig bestimmter Temperatur-Koeffizienten
Angaben von genau gleicher Zuverlässigkeit liefert, wie ein mit Hülfskompensation versehenes Instrument.**)
Von der Erwärmung des Chronometerspindes durch eine unterwärts angebrachte Lampe (also in gleicher
Weise, wie auf dem Observatorium) ist man im Laufe der Zeit durch mehrfache schlechte Erfahrungen an
Bord zurückgekommen. Derartige Vorrichtungen erfordern eine beständige Ueberwachung, welche sich an
*) Es sind unter diesen vervollkommneten Unruhen diejenigen Hülfskompensationen zu verstehen, welche oben als
kontinuirlicli wirkende bezeichnet wurden.
**) Dieses Resultat steht vollkommen in Uebereinstiminung mit [der auch in anderen Theilen der messenden Physik
und der praktischen Astronomie gemachten Erfahrung, dass ein geschickter Beobachter mit Hülfe eines nach richtigen
Prinzipien konstrnirten einfachen Instrumentes Resultate erlangen kann, welche den mit komplizirten Apparaten gewonnenen
nicht nur gleichkommen, sondern dieselben sogar in manchen Fällen an Genauigkeit übertreffen. Um dies durch ein, dem
Seemanne naheliegendes Beispiel zu belegen, möge hier an die mehrfachen Versuche erinnert werden, welche beim Sextanten
gemacht worden sind, in der Absicht, die Genauigkeit der Messungen zu erhöhen.