Skip to main content

Full text: 17, 1894

Dr. C. Stechert: Das Marine-Chronometer und seine Verwendung in der nautischen Praxis. 
19 
3* 
Während des Transports ist das Instrument vor allen Stössen und sonstigen Erschütterungen, z. B. vor 
hartem Niedersetzen, zu bewahren; es darf nicht hin- und hergeschwenkt werden, sondern muss stets so 
getragen oder gehalten werden, dass das Zifferblatt möglichst horizontal steht. Besonders wichtig ist auch, 
dass jede schnelle horizontale Drehung sorgfältig vermieden wird. Eine solche Bewegung kann nämlich die 
Veranlassung bieten, dass die Scliwingungs-Amplitude der Unruhe sich wesentlich vergrössert, so dass der 
Auslösungszahn zwei- oder gar dreimal während einer Schwingung die Goldfeder passirt; dann wird auch 
das Hemmungsrad um zwei oder drei Zähne und mit ihm der Sekundenzeiger um zwei oder drei halbe 
Sekunden fortschreiten. Da nun die Unruhe nach einem derartigen Ueberschwingen nicht sofort wieder ihre 
normale Amplitude annimmt, so wird sich dieser Vorgang während einer Anzahl Schwingungen wiederholen. 
Es ist konstatirt worden, dass durch derartige Vorkommnisse Standveränderungen bis zu 50 Sekunden her 
vorgebracht worden sind. Als unmittelbare Nachwirkung des Ueberschwingens auf den Gang des Chrono 
meters stellt sich in den meisten Fällen ein Zurückbleiben (bis zu einer Sekunde täglich) ein, weil in Folge 
der erhöhten Spannung der Spirale die Elastizität derselben zeitweise verändert, und zwar meistens verringert 
wird. Erst nach längerer Zeit tritt bei den in dieser Weise gestörten Mechanismen ein regelmässiges Ver 
halten wieder ein. Wenn die horizontale Drehung eine sehr gewaltsame ist, so kann hierdurch sogar ein 
Bruch der Spiralfeder — meistens in der Nähe der Befestigungspunkte — erfolgen. Andererseits ist auch 
häufig der Fall konstatirt worden, dass durch eine horizontale Drehung, welche der Schwingung der Unruhe 
nahezu gleich, aber der Richtung nach entgegengesetzt war, ein Stillstehen des Chronometers hervorgebracht 
worden ist. — Es empfiehlt sich deshalb, ein im Gang befindliches Chronometer niemals in kürzerer Zeit 
als 10 Sekunden um 360° — und bei einer geringeren Anzahl von Graden in entsprechend kürzerer Zeit — 
zu drehen. — Lässt es sich irgend vermeiden, so benutze man während des Transportes nicht eine Droschke 
oder eine Pferdebahn, sondern trage das Instrument mit der Hand an seinen Bestimmungsort, weil er- 
fahrungsgemäss durch die in einem Wagen stattlindenden Erschütterungen häufig Gangänderungen hervor 
gebracht worden sind. Ist man gezwungen, einen Wagen zu benutzen, so empfiehlt es sich, das Chrono 
meter vor sich auf den Ivnieen zu halten, um die Einwirkung jener Erschütterungen möglichst abzuschwächen; 
auch Avenn man mit einem Boote an das Schiff hinanfährt, behalte man das Chronometer stets in der Hand 
und auf den Knieen. Besonders hei starkem Seegange werden sich hei der Abfahrt vom Lande und heim 
Anlegen an der Schiffstreppe Stösse kaum vermeiden lassen; man wird in solchen Fällen — um die Wucht 
der Stösse möglichst zu mildern — am besten tliun, das Instrument einen Augenblick freischwebend in der 
Hand zu halten. 
Dass die oben empfohlenen Vorsichtsmaassregeln keineswegs aus einer zu Aveit getriebenen Sorgfalt 
hervorgegangen sind, und dass in manchen Fällen Gang- und Standveränderungen hei Chronometern durch 
den Transport verursacht Averden, Avird durch einen von Prof. C. F. W. Peters envähnten Fall bestätigt. Bei 
der Ueherführung von 70 Marine - Chronometern von der Kieler Stermvarte zu dem am Hafen gelegenen 
Chronometer-Observatorium blieben 2 Instrumente während des Tragens stehen und 15 Stück, also 21 %, 
erlitten eine Gangänderung von mehr als einer Sekunde. Die beiden ersteren Instrumente konnten ohne 
Schwierigkeit wieder in Gang gesetzt werden und zeigten durchaus keinen erheblichen Sprung im täglichen 
Gange; es muss also angenommen Averden, dass hier der oben erwähnte Fall einer horizontalen Drehung 
in der der Schwingung der Unruhe entgegengesetzten Richtung während des Transportes vorgekommen ist. 
Da nun trotz aller Vorsicht derartige Ereignisse nicht vollständig ausgeschlossen sind, so sollte jeder 
geAvissenhafte Schiffsführer das Chronometer nicht erst am Tage der Abfahrt, sondern bereits mehrere Tage 
vor dem Verlassen des Hafens an Bord bringen lassen und sich durch eigene Zeithall- oder astronomische Be 
obachtungen davon überzeugen, dass die mitgegebenen Stand- und Gangangaben durch den Transport keine 
Avesentliche Veränderung erfahren haben.*) — Die Neubestimmung des Ganges an Bord hat für den Seemann 
eine um so grössere Bedeutung, Aveil der sogenannte „Seegang“ mancher Chronometer von dem „Landgange“ 
zum Theil sehr erheblich verschieden ist. Die Ursache dieser Abweichung ist jedenfalls auf den veränderten 
Feuchtigkeitsgrad der atmosphärischen Luft, soAvie auf die Einwirkung der Schiffsbewegung zurückzuführen. 
Es ist häufig beobachtet worden, dass dieser Unterschied zwischen Landgang und Seegang bei dem gleichen 
*) Nur in einem Falle unterlasse man es, das Chronometer schon mehrere Tage vor der Abfahrt an Bord zu bringen, 
wenn nämlich zu erwarten steht, dass beim Uebernehmen der Ladung noch sehr starke Stösse stattfinden Averden, so dass 
die Erschütterungen sich über den ganzen Schiffskörper fortpflanzen und das Chronometer somit unter allen Umständen 
beeinflussen würden.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.