Dr. C. Stechert: Das Marine-Chronometer und seine Verwendung in der nautischen Praxis.
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Während des Transports ist das Instrument vor allen Stössen und sonstigen Erschütterungen, z. B. vor
hartem Niedersetzen, zu bewahren; es darf nicht hin- und hergeschwenkt werden, sondern muss stets so
getragen oder gehalten werden, dass das Zifferblatt möglichst horizontal steht. Besonders wichtig ist auch,
dass jede schnelle horizontale Drehung sorgfältig vermieden wird. Eine solche Bewegung kann nämlich die
Veranlassung bieten, dass die Scliwingungs-Amplitude der Unruhe sich wesentlich vergrössert, so dass der
Auslösungszahn zwei- oder gar dreimal während einer Schwingung die Goldfeder passirt; dann wird auch
das Hemmungsrad um zwei oder drei Zähne und mit ihm der Sekundenzeiger um zwei oder drei halbe
Sekunden fortschreiten. Da nun die Unruhe nach einem derartigen Ueberschwingen nicht sofort wieder ihre
normale Amplitude annimmt, so wird sich dieser Vorgang während einer Anzahl Schwingungen wiederholen.
Es ist konstatirt worden, dass durch derartige Vorkommnisse Standveränderungen bis zu 50 Sekunden her
vorgebracht worden sind. Als unmittelbare Nachwirkung des Ueberschwingens auf den Gang des Chrono
meters stellt sich in den meisten Fällen ein Zurückbleiben (bis zu einer Sekunde täglich) ein, weil in Folge
der erhöhten Spannung der Spirale die Elastizität derselben zeitweise verändert, und zwar meistens verringert
wird. Erst nach längerer Zeit tritt bei den in dieser Weise gestörten Mechanismen ein regelmässiges Ver
halten wieder ein. Wenn die horizontale Drehung eine sehr gewaltsame ist, so kann hierdurch sogar ein
Bruch der Spiralfeder — meistens in der Nähe der Befestigungspunkte — erfolgen. Andererseits ist auch
häufig der Fall konstatirt worden, dass durch eine horizontale Drehung, welche der Schwingung der Unruhe
nahezu gleich, aber der Richtung nach entgegengesetzt war, ein Stillstehen des Chronometers hervorgebracht
worden ist. — Es empfiehlt sich deshalb, ein im Gang befindliches Chronometer niemals in kürzerer Zeit
als 10 Sekunden um 360° — und bei einer geringeren Anzahl von Graden in entsprechend kürzerer Zeit —
zu drehen. — Lässt es sich irgend vermeiden, so benutze man während des Transportes nicht eine Droschke
oder eine Pferdebahn, sondern trage das Instrument mit der Hand an seinen Bestimmungsort, weil er-
fahrungsgemäss durch die in einem Wagen stattlindenden Erschütterungen häufig Gangänderungen hervor
gebracht worden sind. Ist man gezwungen, einen Wagen zu benutzen, so empfiehlt es sich, das Chrono
meter vor sich auf den Ivnieen zu halten, um die Einwirkung jener Erschütterungen möglichst abzuschwächen;
auch Avenn man mit einem Boote an das Schiff hinanfährt, behalte man das Chronometer stets in der Hand
und auf den Knieen. Besonders hei starkem Seegange werden sich hei der Abfahrt vom Lande und heim
Anlegen an der Schiffstreppe Stösse kaum vermeiden lassen; man wird in solchen Fällen — um die Wucht
der Stösse möglichst zu mildern — am besten tliun, das Instrument einen Augenblick freischwebend in der
Hand zu halten.
Dass die oben empfohlenen Vorsichtsmaassregeln keineswegs aus einer zu Aveit getriebenen Sorgfalt
hervorgegangen sind, und dass in manchen Fällen Gang- und Standveränderungen hei Chronometern durch
den Transport verursacht Averden, Avird durch einen von Prof. C. F. W. Peters envähnten Fall bestätigt. Bei
der Ueherführung von 70 Marine - Chronometern von der Kieler Stermvarte zu dem am Hafen gelegenen
Chronometer-Observatorium blieben 2 Instrumente während des Tragens stehen und 15 Stück, also 21 %,
erlitten eine Gangänderung von mehr als einer Sekunde. Die beiden ersteren Instrumente konnten ohne
Schwierigkeit wieder in Gang gesetzt werden und zeigten durchaus keinen erheblichen Sprung im täglichen
Gange; es muss also angenommen Averden, dass hier der oben erwähnte Fall einer horizontalen Drehung
in der der Schwingung der Unruhe entgegengesetzten Richtung während des Transportes vorgekommen ist.
Da nun trotz aller Vorsicht derartige Ereignisse nicht vollständig ausgeschlossen sind, so sollte jeder
geAvissenhafte Schiffsführer das Chronometer nicht erst am Tage der Abfahrt, sondern bereits mehrere Tage
vor dem Verlassen des Hafens an Bord bringen lassen und sich durch eigene Zeithall- oder astronomische Be
obachtungen davon überzeugen, dass die mitgegebenen Stand- und Gangangaben durch den Transport keine
Avesentliche Veränderung erfahren haben.*) — Die Neubestimmung des Ganges an Bord hat für den Seemann
eine um so grössere Bedeutung, Aveil der sogenannte „Seegang“ mancher Chronometer von dem „Landgange“
zum Theil sehr erheblich verschieden ist. Die Ursache dieser Abweichung ist jedenfalls auf den veränderten
Feuchtigkeitsgrad der atmosphärischen Luft, soAvie auf die Einwirkung der Schiffsbewegung zurückzuführen.
Es ist häufig beobachtet worden, dass dieser Unterschied zwischen Landgang und Seegang bei dem gleichen
*) Nur in einem Falle unterlasse man es, das Chronometer schon mehrere Tage vor der Abfahrt an Bord zu bringen,
wenn nämlich zu erwarten steht, dass beim Uebernehmen der Ladung noch sehr starke Stösse stattfinden Averden, so dass
die Erschütterungen sich über den ganzen Schiffskörper fortpflanzen und das Chronometer somit unter allen Umständen
beeinflussen würden.