Archiv 1894. 4.
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No. 4.
Das Marine-Chronometer und seine Verwendung in der nautischen Praxis.
Im Aufträge der Direktion der Deutschen Seewarte bearbeitet
von Dr. C. Stecliert,
Assistent der IV. Abtheilung der Seewarte.
Einleitung.
§ 1. Das Problem der Längen-Bestimmung durch Zeitübertragung ist zuerst in den Jahren
zwischen 1520 und 1530 von den beiden Spaniern Alonso de Sta. Cruz und Hernando Colon, einem Sohne
des Christoph Columhus, ausgesprochen worden. Welchem dieser beiden Männer die Priorität der Ent
deckung zusteht, hat historisch nicht mit Sicherheit festgestellt werden können. Allein wegen des unvoll
kommenen Zustandes der damaligen Uhrentechnik vergingen mehr als zwei Jahrhunderte, bevor eine von
Erfolg begleitete praktische Anwendung des Problems in der Nautik erreicht werden konnte. Zwar fehlt
es nicht an Bemühungen in dieser Eichtling; Männer wie Huygliens, Leibnitz, Sully und Dudlay haben mit
grosser Ausdauer an der praktischen Durchführung der Methode gearbeitet; die Regierungen von Spanien
und England, sowie mehrere Privatleute stellten Geldmittel und Preise zur Verfügung, allein erst der Er
findungsgabe des Engländers John Harrison gelang es, durch Konstruktion einer durch Federkraft ge
triebenen Seeuhr, welche mit einer Temperatur-Kompensation versehen war und auf welche in Folge der
doppelaxigen Aufhängung die gangstörende Wirkung der Schiffsbewegung einen verhältnissmässig geringen
Einfluss ausübte, die genannte Methode in der Nautik zu Ehren zu bringen. Nach mehreren Versuchen
auf kürzeren Expeditionen bestanden jene Instrumente John Harrisons im Jahre 1761 auf der Reise nach
Jamaica, während welcher sie sich unter der Obhut des Sohnes des Verfertigers, William Harrison, be
fanden, die erste grössere, von unzweifelhaftem Erfolg begleitete Probe. Die Einzelheiten dieser Reise der
„Deptford“ sind sehr interessant. Das Schiff verliess am 18. November 1761 den Hafen von Portsmouth
und befand sich nach Ansicht des Schiffsführers nach 18 Reisetagen auf 13° 50' Länge westlich vom Aus
gangshafen; da die Chronometer-Rechnung 15° 19', also einen Unterschied von 1?5 gegen das Besteck
ergab, so verurtheilte man das Instrument als unzuverlässig, und wurde besonders die Behauptung William
Harrisons, man würde noch am folgenden Tage die Insel Portland erreichen, als vollkommen unglaubwürdig
zurückgewiesen. Um so grösser war das Erstaunen, als am nächsten Morgen um 7 Uhr die Insel gesichtet
wurde. Auch durch die Identifizirung der Insel Desirade, einer der Antillen, und beim Ansegeln des Hafens
von Port-Royal wurde die Sicherheit der neuen Methode dargethan. Die Länge des letzteren Ortes war
durch den Merkur-Durchgang im Jahre 1743 (Nov. 5) besonders zuverlässig bestimmt worden; die Chrono
meter-Rechnung ergab hiergegen einen nur um 5 S abweichenden Werth. — Eine weitere erfolgreiche Prüfung
bestand die Erfindung Harrisons im Jahre 1763 auf der Reise des Kriegsschiffes „Princess Louisa“ nacli
Barbados, einer Expedition, welche besonders durch die Beobachtungen der beiden berühmten Astronomen
Maskelyne (später „Astronomer Royal“) und Green (später astronomischer Begleiter Cooks) eine grosse
Bedeutung für die praktische Nautik erlangt hat. — Dennoch wurden in England während der folgenden
Jahre neue Zweifel an der Zuverlässigkeit der chronometi'ischen Zeitübertragung geltend gemacht, so dass
selbst der weitblickende James Cook, wie wir durch Wharton*) erfahren, es nicht der Mühe wertli hielt,
*) Wharton, Capt. Cook’s Journal, I. Band, Seite XXVII.