Archiv 1894. 2.
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No. 2.
33r eiteiibestimmuLiigeii zur See.
Von Dr. L. Ambronn, Observator der Sternwarte in Göttingen.
Theil I.
Entwickelung der Methoden.
§ 1. Der Führer eines Schiffes ist verpflichtet, so oft als möglich den Ort, an welchem sein Schiff sich
auf der Oberfläche der Erde zu einer bestimmten Zeit befindet, festzustellen. Das kann auf zweierlei Weise
geschehen. Einmal dadurch, dass man vom Ausgangspunkte der Reise oder einem andern seiner geogra
phischen Lage nach bekannten Punkte ausgehend die nach einander zurückgelegten Wegstrecken nach Maass
gabe ihrer Längen und Richtungen an einander reiht und so auf den jeweiligen Ort des Schiffes scldiesst
(terrestrische Navigation). Andererseits ist es aber auch möglich, auf Grund von Beobachtungen der Ge
stirne und ilmer Lage zu dem momentanen Horizonte des Schiffsortes, unabhängig von jedem anderen Orte,
die geographischen Koordinaten, Breite und Länge, zu bestimmen. Im Falle der Länge ist man gezwungen,
einen konventionellen Ausgangspunkt der Zählung anzunehmen, weil die Erdmeridiane, welche ja die Orte
gleicher Länge bezeichnen, alle unter einander gleich berechtigt sein würden. Durch die Herausgabe von
astronomischen Ephemeriden, welche in den Nautischen Jahrbüchern enthalten sind, wird aber eine Auswahl
unter diesen Meridianen derart getroffen, dass die wenigen Meridiane, auf welche sich diese Jahrbücher
beziehen, auch als Ausgangspunkte der Zählung der Längen benutzt werden. (Nautical Almanac und Nautisches
Jahrbuch beziehen sich auf den Meridian von Greenwich, die Connaissance de temps auf den Meridian von
Paris.) Für die geographische Breite aber liegt die Sache anders, da hat die Form und Bewegung (Rotation)
unserer Erde schon von Hause aus einen Ausgangspunkt, den Aequator, gegeben, d. h. denjenigen grössten
Kreis, welcher in allen seinen Punkten von den beiden Erdpolen gleich weit absteht.
Die Bestimmung dieser letzteren Koordinate, der geographischen Breite, soll uns im Folgenden be
schäftigen, indem die für den Führer eines Schiffes wichtigsten und zweckmässigsten Methoden entwickelt,
ihre einfachsten rechnerischen Ausdrücke abgeleitet und durch Beispiele erläutert werden sollen.
§ 2. Der Wege, auf denen man zur Kenntniss der geographischen Breite gelangen kann, sind eigent
lich nur zwei, und zwar:
1) die direkte Höhenmessung eines Gestirnes zur Zeit seines Meridian-Durchganges oder die indirekte
Herleitung dieser Meridianhöhe aus Höhenmessungen, welche zu anderen Zeiten, am besten in der
Nähe des Meridians, aber bei bekannter Uhrkorrektion, angestellt sind, und
2) aus Höhenmessungen zweier Gestirne zu gleichen oder verschiedenen Zeiten ohne Kenntniss des
Uhrstandes.
Beide Methoden lassen sich in der Praxis der Entwickelungen nicht ganz scharf von einander trennen.
Die zweite wird durch die beiden Probleme von Do uw es und von Sumner gebüdet, welch’ Letztere
namentlich für die praktische Navigation durch ihre zweckmässige konstruktive Behandlung von besonderem
Werthe ist.