No. 4.
Die stürmischen Winde an der Deutschen Küste in den Jahren 1878—87.
Zusammenfassend dargestellt
von Dr. E. Herrmaiiii, Assistent bei der Seewarte.
W enn auch in jüngster Zeit die Entwickelung der Theorien in der Meteorologie unter der Betheiligung
der namhaftesten Physiker einen ausserordentlichen Aufschwung genommen hat, so sind die Ergebnisse dieser
Forschungen doch meist noch nicht geeignet, unmittelbar bei der ausübenden Witterungskunde Anwendung
zu finden. Als eine hervorragende Ausnahme hiervon muss das „Barische Windgesetz“ betrachtet werden,
welches von Ferrel und Buys-Ballot, unabhängig von einander, von dem Ersteren durch theoretische
Schlussfolgerungen, von dem Letzteren aus den synoptischen Wetterkarten, also durch Erfahrung, abge
leitet wurde.
Und selbst eine gegen jetzt noch wesentlich erweiterte Theorie würde darin wenig ändern, da wir bei
der zur Zeit sowohl im Niveau der Erdoberfläche, als auch in der vertikalen Erstreckung der Atmosphäre
so sehr beschränkten Kenntniss der im gegebenen Falle bestehenden meteorologischen Verhältnisse nicht im
Stande wären, die für die Anwendung der Theorie nothwendigen Bedingungen mit genügender Sicherheit
festzustellen.
Es ist daher lediglich die empirische Forschung, welche noch jetzt der ausübenden Witterungskunde
zu Grunde liegt. Und der Einfluss der Theorie besteht zunächst im Hinweis auf gewisse Gesichtspunkte,
die bei dem Studium der thatsächlichen, uns aber nur für ein kleines Gebiet bekannten Vorgänge zu berück
sichtigen sind.
Aber nicht allein allgemein bekannte Erfahrungssätze werden bei dem Urtheil über die zukünftige
Gestaltung der Witterungsverhältnisse zu Grunde gelegt. Einerseits ist die Zahl solcher Sätze sehr gering,
andererseits umfassen dieselben vielfach nur einen kleinen Theil der vorkommenden Fälle. Daher tritt zu
den aus Schriften zu gewinnenden Kenntnissen bei dem in der ausübenden Witterungskunde Thätigen noch
eine in der Praxis erworbene persönliche Erfahrung, eine Routine, über welche im einzelnen Falle einer
zweiten Person Rechenschaft sofort zu geben schwer, ja vielfach unmöglich ist.
Indessen diese persönliche Erfahrung muss zu einem guten Theil sich schliesslich auch durch Worte
ausdrücken lassen und an den vorliegenden Vorgängen ihre Prüfung bestehen. Es werden sich aus derselben
Regeln ergeben, welche sehr wohl auch für Andere benutzbar sind.
Die Schwierigkeit der Ausführung der empirischen Untersuchungen auf dem Gebiete der Meteorologie
liegt in der ausserordentlichen Fülle des immer weiter sich anhäufenden Materials und in der Eigenthüm-
lichkeit, dass schon die Aufstellung der leitenden Gesichtspunkte die Beherrschung dieses Materiales in
hohem Grade fordert, soweit es sich nicht nur um die Befolgung eines gegebenen Schemas handelt, wie es
bei dem mehr statistischen Charakter klimatologischer Arbeiten vielfach der Fall ist. Hülfsleistungen anderer
Personen können daher erst in zweiter Linie Platz greifen. Nach dieser Richtung schlagende Arbeiten
sind auch erst vereinzelt unternommen worden, wobei besonders die Namen vanBebber, Rollin und
Tessereinc de Bort zu nennen sind.
Andererseits liegt die Nothwendigkeit solcher Arbeiten auf der Hand. Nicht allein wird dem neu in
die Praxis der ausübenden Witterungskunde Eintretenden das Studium der Vorgänge wesentlich erleichtert,
sondern eine exakte Methode der Untersuchung giebt dem dieselbe Ausführenden erst den Beweis, dass die
gewonnenen Anschauungen sich mit der Wirklichkeit decken.
Archiv 1891. 4.
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