Adolf Schmidt: Mathematische Entwickelungen etc.
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ist dieses voraussetzungslose Verfahren das einzig zulässige. Bezüglich des nur langsam veränderlichen
Haupttheils der erdmagnetischen Kraft ist die Annahme von im äussern Baume gelegenen Ursachen freilich
wenig wahrscheinlich. Deshalb konnte Gauss bei seinem Versuch von dieser Möglichkeit ganz absehen
und sich damit begnügen, die Berechtigung der entgegengesetzten Annahme nachträglich aus den befriedi
genden Ergebnissen, welche mit ihrer Hülfe gewonnen worden waren, herzuleiten. Die Möglichkeit, dass
wenigstens ein geringer Theil der erdmagnetischen Kraft auf Ursachen ausserhalb der Erde zurückzuführen
sei, bleibt indessen bestehen, und daher muss, entsprechend der von Gauss selbst ausgesprochenen Forde
rung, die strenge Rechnung durchgeführt werden, sobald die empirische Grundlage dazu ausreicht.
In den vorstehenden Bemerkungen ist bereits die nicht sowohl durch theoretische Schwierigkeiten als
vielmehr durch die Beschaffenheit des Beobachtungsmaterials bedingte Beschränkung auf die magnetischen
Erscheinungen an der Erdoberfläche eingeführt worden. .Da diese letzteren eine scharf umgrenzte und
zugleich die wichtigste Aeusserung der erdmagnetischen Kraft darstellen, und da sie ausserdem jeder
späteren Untersuchung der oberhalb oder unterhalb jener Fläche stattfindenden Erscheinungen zum
bequemsten Ausgangspunkt dienen können, so ist die vorläufige Beibehaltung jener Beschränkung auch in
methodischer Beziehung durchaus gerechtfertigt. Dazu kommt noch, dass der Schwerpunkt jener späteren
Untersuchung, die keine Schwierigkeiten bietet, sobald genügende Erfahrungsdaten gewonnen sind, in einer
anderen Richtung liegt. Die Aenderungen, welche die erdmagnetische Kraft bei der Entfernung von der
Erdoberfläche aufweist, sind weniger an sich selbst, als wegen der Schlüsse, die sie auf den Ursprung dieser
Kraft machen lassen, interessant. Wenn insbesondere der Sitz derselben eine dünne Schicht in unmittel
barer Nähe der Erdoberfläche wäre, so würde man zu einer genauen Kenntniss von der Vertheilung der
wirkenden Ursachen in dieser Schicht und damit wohl zu einer sicheren Feststellung ihrer physikalischen
Grundlage gelangen. Liegt hierin einerseits die Aufforderung, eingehende Untersuchungen in dieser Richtung
anzustellen, so lässt es doch andererseits eine selbstständige Behandlung der Kräftevertheilung an der Erd
oberfläche um so gerechtfertigter erscheinen. (Die einzige, aber freilich sehr wesentliche Schwierigkeit bei
jenen Untersuchungen bietet die Gewinnung eines zuverlässigen Beobachtungsmaterials. Ob es jemals möglich
sein wird, genügend scharfe Werthe der magnetischen Elemente in grosser Höhe über dem Erdboden oder
in der Tiefe des Meeres zu erhalten, ist natürlich gegenwärtig nicht zu entscheiden. Messungen in Berg
werken andrerseits, deren Ausführung an sich keinen Schwierigkeiten begegnet, unterliegen mehr als alle
anderen den schwer bestimmbaren Einflüssen lokaler Störungen. Könnte man freilich in jedem einzelnen
Punkte der Erdrinde die Grösse und Richtung der Kraft ermitteln, dann würde der Begriff der Störung
entweder überhaupt Wegfällen oder er würde wenigstens scharf definirt werden können. Jene Bedingung
ist aber natürlich unerfüllbar, und daher wird letzteres nur durch genaue Ermittelung der Ursachen der
Störungen möglich werden. Mit diesem Umstande hängt es zusammen, dass auch bei der auf die Erdober
fläche beschränkten Betrachtung eine kleine Ungenauigkeit zunächst unvermeidlich ist. Alle Messungen
sind an Punkten der physischen Erdoberfläche ausgeführt; die Rechnung setzt dagegen die Kenntniss der
magnetischen Elemente an den Punkten des für dieselbe angenommenen Ellipsoids voraus. Es müsste
daher eigentlich eine im wesentlichen von der Seehöhe des Beobachtungsortes abhängige Reduktion der
gemessenen Werthe auf das Ellipsoi'd vorgenommen werden. Dieselbe kann theoretisch leicht ermittelt
werden, doch nur, wenn man bestimmte Annahme über den Sitz der magnetischen Kraft macht. Die
Korrektionen hängen also von vorläufig nicht genau bekannten Umständen ab; sie ergeben sich aber
ausserdem auf jeden Fall als unbedeutend, was durch vereinzelte Beobachtungen bestätigt wird — es dürfte
■daher am besten sein, sie bis auf weiteres ganz zu vernachlässigen.)
Hach diesen Vorbemerkungen wende ich mich nun zu der Aufgabe, die in (2) gegebene allgemeine
Gleichung für den vorliegenden Fall zu spezialisiren. Ich wähle als Integrationsweg den Umring eines
unendlich kleinen Vierecks, dessen Ecken durch die geographischen Koordinaten
v, X v, X+dX v+dv, X+dX v+dv, X
bestimmt sind. Die hier angegebene Reihenfolge soll die Richtung der wachsenden Weglänge s andeuten.
Zufolge der zu Gleichung (2) gegebenen Erläuterung gilt dann die elektrische Strömung, welche das
beschriebene Viereck durchsetzt, als positiv, wenn sie ins Innere der Erde gerichtet ist. Die vier Seiten
der Figur haben der Reihe nach die Länge