2
I. Die ablenkcnde Kraft der Erdrotation.
Zum Verständniss des Nachfolgenden sei an die Eigenart der Luftbewegung unserer Erdatmosphäre
erinnert, nach welcher die Winde nicht geradeaus eilen können. Bewegte Luft wird durch die Fliehkraft
der Erdrotation beständig von der ursprünglichen Richtung abgelenkt und zwar auf der Nordhemisphäre
nach rechts, auf der Südhemisphäre nach links. Es kann z. B. ein Wind nur dann stetig als Westwind
wehen, wenn der Ablenkung die Wirkung einer .Luftdruck-Differenz entgegen wirkt und die Ablenkung des
Windes auf hebt. Die Grösse der Trägheits-Kraft, mit welcher bewegte Luft von dem Breitenkreise ablenkt,
wenn sie ganz sich selbst überlassen ist, wird durch den Ausdruck der ablenkenden Beschleunigung
v (w + w') sin cj> gemessen, worin v die Windgeschwindigkeit in Richtung des Breitenkreises, o> die Winkel
geschwindigkeit der Erdrotation, m' die Winkelgeschwindigkeit der absoluten Luftbewegung, das heisst
o/ — 01-h—, r der Radius des Breitenkreises und <p die geographische Breite bedeutet. Für niedere Breiten
weicht in obigem Ausdruck «' von w so wenig ab, dass zunächst die Ablenkungs-Beschleunigung meistens
2 v . m . sin (f geschrieben werden soll, obwohl strenge genommen dieser letztere Ausdruck für den Werth
der Ablenkungs-Beschleunigung sich auf die Abweichung vom grössten Kreise und nicht vom Breitenkreise
bezieht.*) In jenem Ausdruck hat 2 « folgenden Werth. Ein bürgerlicher Tag hat 24 . 3600 == 86400
Sekunden. Die Erde dreht sich aber nicht in einem bürgerlichen Tage, sondern in einem Tage Sternzeit
einmal um ihre Achse. Dies sind 86164 Sekunden. Daher ist zu setzen:
2 co = 2 • = 0,0000729.
86154
Beispiel: für v = 20 ra und <p = 30° ist 2 v m sin <p = 2.20.0,0000729 . % =. 0,001458 m .
In 100 Sekunden wird also der Westwind von 20m Stärke gegen den Breitenkreis, welchen derselbe
anfangs verfolgte, um
p t 2 0,001458 • 100 • 100
s = -y- = — 1 ^ = 7 ’ 29 m
abgelenkt worden sein, wenn keine störenden Einflüsse, z. B. Druck-Differenzen vorhanden sein würden.
Solche die Ablenkung theilweise oder ganz aufhebende Druck-Differenzen sind aber immer vorhanden, so
dass der Wechsel in der Bahnrichtung des Windes stets von der Differenz der Kräfte Gradient und Ab
lenkung durch Trägheit abhängig ist.
Eine Ableitung obiger Formeln findet sich in No. 490 und No. 506, Jahrgang 1885, der „Deutschen
Bau-Zeitung.“
Zwischen der Trägheits-Ablenkung und dem Gradienten, d. h. der jeweilig in der Luft vorhandenen
Druck-Differenz besteht eine äusserst innige Wechselbeziehung, indem die erstrebte Ablenkung stets nach
der Seite der Ablenkung hin Luft-Zusammendrückung und Druckdifferenzen erzeugt, welche alsdann als
Widerstand, als eine Reaktion auftreten und meistens der Ablenkung theilweise entgegen wirken.
2. Die FSächen gleichen Druckes (isobarische Flächen) und die horizontalen
Temperatur-Differenzen.
In der Folge werden die nachstehenden Erwägungen benutzt und sollen dieselben daher der eigent
lichen Abhandlung voraufgehen.
Es bestehe am Orte A der Druck p + Ap, am Orte B der Druck p. Die horizontale Druckdifferenz ilp
bewirkt alsdann einen Antrieb zu horizontaler Bewegung, deren Beschleunigung durch den Ausdruck p gleich
Kraft dividirt durch Masse
A p ■ F kplo
P ~ L ‘ 3
gemessen wird. Bei Aufstellung dieser Gleichung wurde der Bew'egungs-Zustand einer liegenden Luftsäule
*) Yergl. Archiv der Deutschen Seewarte, II. Jahrgang 1879, „Studien über den Wind und seine Beziehungen zum
Luftdruck“, von Dr. A. Sprung.