Archiv 1885. 4.
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No. 4
Die Gewitter vom 13. bis 17. Juli 1884 in Deutschland. '"')
Von Professor R. Börnstein in Berlin.
Die in der Ueberschrift genannte Periode war bekanntlich eine ungewöhnlich gewitterreiche, und
so ist es vielleicht nicht ohne Interesse, das Auftreten und Fortschreiten der elektrischen Erscheinungen
genauer zu betrachten. Die vorliegende Arbeit versucht eine übersichtliche Darstellung jener atmosphärischen
Vorgänge zu geben, soweit dies auf Grund der von 270 Stationen gelieferten Beobachtungs-Ergebnisse aus
führbar erscheint.
Die allgemeine Wetterlage in Europa zeigte hohen Luftdruck in Südost und Süd, niedern Druck
in West und Nordwest, dazu meist südwestliche Winde. Die Temperatur nahm im Ganzen von Nord nach
Süd sowie vom Ozean nach dem Innern von Europa zu. Eine Depression, deren Kern (750 mm) am 12. Juli
südwestlich von Irland lag, entsandte zwei nach Osten gerichtete Ausläufer, deren nördlicher sich von
Schottland aus gegen Dänemark hin erstreckte und als Streifen dichter Bewölkung bis nach Krakau ver
folgt werden konnte. Während diese Depression in nordöstlicher Richtung langsam fortschritt, lösten sich
vielfach von ihrem Rande Theildepressionen ab und eilten ihr voraus, meistens in östlicher Richtung Deutsch
land durchziehend und an der Rückseite von Gewittern unmittelbar gefolgt. Inzwischen hatte auch das
Maximum seine Stellung geändert. Am Morgen des 12. Juli lag es breit und flach zwischen Finnland,
Pyrenäen und Alpen; von da zog es unter Zunahme seiner Höhe erst in südöstlicher (13. Juli: Ungarn,
Schweiz, Italien), dann in südwestlicher Richtung (14. Juli: Schweiz, Italien, Frankreich) und erfüllte am
Morgen des 15. Juli Südeuropa, während die Depression am botnischen Meerbusen angelangt war. An
diesem Tage waren die Isobaren im westlichen und mittleren Europa vorzugsweise von W nach E gerichtet
mit geringer Ausbiegung gegen N und ohne die vorher bemerkbaren nach S und E gerichteten Ausläufer.
Dementsprechend war der Vormittag des 15. Juli in Deutschland fast völlig frei von Gewittern, und auch
die am Nachmittage auftretenden Gewitter zeigten vorwiegend lokalen Charakter. Doch war diese Ruhe
nicht von Dauer, denn schon in der Wetterkarte vom Morgen des 15. Juli zeigt sich ein neues Minimum
westlich von Irland, welches mit zunehmender Tiefe nordnordöstlich fortschreitet und zugleich einen Aus
läufer nach S entsendet, der am Morgen des 16. Juli als flache Theildepression über Frankreich liegt, um
dann rasch nordostwärts fortzuschreiten. Diese Theildepression' war nachmittags auf ihrem Wege durch
Deutschland von zahlreichen Gewittern begleitet und gelangte bis zum Morgen des 17. Juli nach Galizien,
während die Hauptdepression bei den Shetlands lag und über Frankreich wieder ein flaches Gebiet niedern
Druckes sich zeigte. Aehnlich wie am Vortage entwickelte sich auch hieraus wieder ein Gewitterzug, der
in west-östlicher Richtung am Nachmittage des 17. Juli Deutschland durcheilte, während die Stelle der ab
ziehenden Depression durch ein Maximum ausgefüllt wurde. Dasselbe nahm am Morgen des 18. Juli den
südwestlichen Theil von Europa ein, während das erwähnte Hauptminimum in Nordskandinavien, die Theil
depression in Galizien lag. Es entwickelte sich also, da keine neue Depression im Anzuge war, ein Gebiet
hohen Druckes mit W- und NW-Wind ohne Gewitter, bis dann am 21. Juli neue Störungen begannen.
*) Eine kurze Mittheilung über den Inhalt der folgenden Arbeit findet sich im „Tageblatt der 59. Versammlung deut
scher Naturforscher und Aerzte zu Berlin, 1886“, p. 337. Dabei ist durch ein Versehen als Zeit der beschriebenen Gewitter
der Monat April statt Juli angegeben. Ein Auszug der Arbeit wurde ferner am 22. Oktober 1886 in der physikalischen
Gesellschaft zu Berlin vorgetragen und in deren „Verhandlungen“ 1886, No. 17, p. 89—96 abgedruckt.