Aufgaben und wissenschaftlicher Hintergrund
Die Nordsee ist ein relativ flaches Schelfmeer dessen physikalischer Zustand — primär
charakterisiert durch Salzgehalt und Temperatur — in weiten Teilen durch den Austausch von
Wassermassen mit dem Atlantik über den nördlichen offenen Rand bestimmt wird. Die
südwestliche Nordsee ist durch den flachen Englischen Kanal und durch die Straße von
Dover mit dem Atlantik verbunden. Der Einfluss über den Kanal ist, bezogen auf die gesamte
Nordsee, zwar deutlich geringer, aber wesentlich für die flache südliche Nordsee. Die Ostsee
ist über das Skagerrak und Kattegat, sowie über den Großen und den Kleinen Belt und den
Sund mit der Nordsee verbunden. Der Baltische Ausstrom mit seinen geringen Salzgehalten
orägt deutlich die ozeanographischen Verhältnisse über der Norwegischen Rinne. Weitere
Einflussfaktoren sind u.a. die kontinentalen Süßwasserabflüsse, der Wärmeaustausch mit
der Atmosphäre (Globalstrahlung) und das Verhältnis von Niederschlag und Verdunstung.
Alle Faktoren weisen sowohl starke saisonale als auch zwischenjährliche Schwankungen
auf. Durch die saisonale Erwärmung baut sich im Frühjahr eine warme Deckschicht auf, so
dass die Nordsee bis etwa Ende September thermisch geschichtet ist und eine Thermokline
ausbildet. Die Schärfe der Thermokline und die Dicke der Deckschicht können sowohl
regional, als auch von Jahr zu Jahr deutlich variieren. In Gebieten mit Wassertiefen geringer
als 25-30 m verhindern Gezeitenreibung am Boden und windinduzierte Vermischung an der
Oberfläche die Schichtung und der Wasserkörper bleibt überwiegend vertikal durchmischt.
Beide Gebiete werden durch die sogenannte Tidal Mixing Front getrennt.
Um den Zustand der Nordsee zuverlässig bewerten zu können, muss die gesamte Nordsee
quasi-synoptisch 3-dimensional erfasst werden. Seit 1998 (siehe Tabelle 1) führt das BSH
deshalb im Sommer zum Zeitpunkt der maximalen Schichtung eine ozeanographisch-
chemische Gesamtaufnahme der Nordsee durch. Basis des Kernprogramms sind etwa 50
CTD-Stationen auf einem festen Stationsraster (Stationen 1 bis 53, siehe Abb. 2). Die
Stationen dienen der Erfassung der Vertikalprofile der wichtigsten ozeanographischen
Parameter und zur Entnahme von Wasserproben mittels Schöpfer-Rosette zur Kalibration
der CTD-Systeme und für chemische Analysen. In ausgewählten Jahren wird die
Nordseeaufnahme im Wechsel auf den Englischen Kanal, das Skagerrak oder die Northern
Minch ausgedehnt. Seit 2009 wurde das Stationsnetz um die mit A, B oder C
gekennzeichneten Transitstationen (das Schiff stoppt nicht auf) zur Untersuchung des
Seewassers auf künstliche Radionuklide erweitert. Auf den Strecken zwischen den CTD-
Stationen wird ein geschlepptes CTD-System eingesetzt, das zwischen der Oberfläche und
dem Boden oszilliert; bis 2008 der vom BSH entwickelte Delphin und ab 2009 der EIVA
ScanFish MK Il.
Ziel der Reisen ist die Beschreibung und Bewertung des aktuellen ozeanographischen und
chemischen Gesamtzustands der Nordsee, die Berechnung der Wärme- und Salzbilanzen,
sowie das Bemühen, Signale klimabedingter Veränderungen von der starken natürlichen
Variabilität des „System Nordsee“ zu unterscheiden. Um die physikalischen
Austauschprozesse im Übergangsbereich zwischen Nordsee und Atlantik besser zu
erfassen, wurde seit 2010 die Aufnahme um die Stationen zwischen 60N und 62.5N
erweitert. Die gewonnenen Datensätze dienen ferner der Validierung und Plausibilisierung
von operationellen Modellen und Klimaszenarien, sowie zur Validierung von optischen
Fernerkundungsdaten von Satelliten (Ocean Colour Parameter wie Chlorophyll, Sichttiefe,
Gelbstoff, Trübung), die zunehmend für die aktuellen Zustandsbewertungen eingesetzt
werden.
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