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zu finden. Wir bemerken wolil eine warme Strömung entlang der ganzen Ostküste Südamerikas, auch über
die breiten Gründe an der patagonischen Küste südwestlich fiessend und dann unter der kalten Kap-Horn-
Strömung untertauchend, eingetragen, aber weder östlich von 55°W-Lg. in 40°—45°S-Br., noch nördlich
von 50° S zwischen den Meridianen von 55° bis 45° W-Lg. finden wir die Existenz warmen Wassers beachtet,
vielmehr ist der ganze Raum nordöstlich der Falkland-Inseln von einer fächerartig aufgelösten Abzweigung
des kalten Kap-Horn-Stromes erfüllt. Auf Bergbaus’ Physikalischer Wandkarte (1874) geht ein kleiner
Ast der kalten Strömung sogar westlich von den Falkland-Inseln nordwärts, verliert sich aber in 45° S-Br.
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Zu diesem auffallenden Widerspruch kommen nun die mit den bekannten Petermann’schen und Berg-
haus’schen Karten ebenfalls nicht in Einklang zu bringenden direkten Strombeobachtungen deutscher Kriegs
schiffe auf ihren Fahrten zwischen Montevideo und der Magellanstrasse. Daselbst wurden nämlich als
besonders auffallend, ja häufig in grosser Stärke auftretend, nördliche, nordwestliche und nordöstliche
Stromversetzungen ausdrücklich konstatirt, da, wo die Karte jene südwestliche oder südsüdwestliche Pata-
gonische Strömung erwarten liess.')
Wie so die Thatsachen sich wenig übereinstimmend erweisen mit dem fast allgemein, in Deutschland
wenigstens, * 2 ) rezipirten Kartenbilde, so lassen sich schon a priori wichtige theoretische Bedenken geltend
machen, wenn man den Verlauf der Brasilienströmung mit kritischen Augen betrachtet. Es dürfte
wohl kaum die Behauptung als gewagt gelten, dass es eine hydrodynamische Unmöglichkeit ist, eine
Strömung von solcher Grösse, wie die Brasilienströmung, sich ohne jede sichtbare mechanische Ursache mit
einem Male in zwei Hälften spalten zu lassen, deren eine die alte südwestliche Richtung unverändert beibehält,
während sich die andere in scharfem Knie östlich abwendet, um als „Verbindungsströmung“ in die kalte süd
afrikanische oder Benguela-Strömung aufzugehen. Bei einer früheren Gelegenheit 3 ) wollte ich darum diese
Strömung, die doch überhaupt nur als eine schwache gelten könne, für eine Windtrift erklären, nicht für
eine der grossen tiefreichenden Strömungen, da ich damals noch, gleich der Mehrzahl der Fachgenossen,
einen scharfen Unterschied zwischen echten „Strömungen“ und blossen „Windtriften“ machte, wobei letztere
nur gewissermaassen als Strömungen zweiter Ordnung gelten durften. Diesen theoretischen Bedenken gegen
die Existenz jener „Verbindungsströmung“ lassen sich nicht minder erhebliche Zweifel zugesellen gegen die
Berechtigung der Bahn, welche die Patagonische Strömung auf den Karten einschlägt. Es ist von den
Autoritäten oft betont worden, dass die grossen, konstanten Strömungen von beträchtlichem Tiefgange
niemals auf die flachen Gründe entlang den Küsten sich zu erstrecken, vielmehr ausserhalb derselben im
tiefen Meer einherzuschreiten pflegen: der Golfstrom, sowie der Agulhasstrom sind dafür als typische Bei
spiele hinzustellen. Südlich der Laplata-Mündung aber geht jene Patagonische Strömung nach den Karten
doch ausschliesslich über die Gründe von weniger als 200, im Mittel kaum 100 m Tiefe hinweg — und
dennoch soll sie südlich von den Falkland-Inseln noch soviel mechanische und thermische Kraft besitzen,
dass sie, von der Kap-Horn-Strömung nur oberflächlich überdeckt, im fernen Südwesten und Südosten
noch als eine klimatisch effektvolle Wasserbewegung wieder in die Erscheinung tritt! —
II. Der warme Strom.
Diese Zweifel und Bedenken auf der einen Seite, sowie der klar vorliegende Widerspruch zwischen
den Kartenbildern und den bekannten Unregelmässigkeiten in den Temperaturen des Meerwassers südlich
des Laplata auf der andern, Hessen es dem Verfasser gerathen erscheinen, als er im Aufträge der
Direktion der Seewarte eine Darstellung der atlantischen Meeresströmungen für das Segelhandbuch des
Atlantischen Ozeans zu bearbeiten unternommen hatte, für dieses Gebiet eine kritische Revision auf
Grund des trefflichen seit Jahren in den Journalen der für die Seewarte arbeitenden Schiffe niedergelegten
Materials auszuführen. Der beschränkten Zeit wegen konnte indess die für solche Arbeiten übliche Methode
nicht gewählt werden, sondern es war ein Weg zu suchen, der mit dem relativ geringsten Zeitaufwande ein
möglichst brauchbares, d. h. klares und vor Zweifeln gesichertes Resultat zu liefern versprach.
') Vergl. weiter unten hierüber die Details.
2 ) Auf Heinrich Kiepert’s neuem Riesenglobus verliert sich die Brasilienströmung in zirka 35° S-Br., ohne nach irgend
einer Richtung hin eine Fortsetzung zu nehmen.
3 1 Krümmel, die Aequatorialen Meeresströmungen des Atlantischen Ozeans, Leipzig 1876, S. 12.