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Westen her zum luftdünnen Centralraum strömen, denselben Drehungssinn hervorrufen, ist in den Verhand
lungen der Pariser Akademie, Comptes rendus T. 49, p, 659, 686 und 769 bewiesen.“ — Ein sehr anschaulich
geschriebener und im Uebrigen sehr gut die neuere Entwickelung der Meteorologie darlegender Vortrag von
Sohncke (1875) aus der Virchow-Holtzendorff’sehen Sammlung verfährt wie die oben citirten Bücher:
„Die bekannte Erklärung für die Richtung der Passatwinde erklärt auch das ganze Buys - Ballot’sche Ge
setz.“ Der 1878 erschienene „Katechismus der Meteorologie“ von Gretschel folgt im Allgemeinen voll
kommen den D o v e ’sehen Hypothesen, theilt indessen kurz die Resultate synoptischer Studien mit und erklärt
die Bewegung um ein barometrisches Minimum in genau derselben Weise wie Reye, Clement Ley etc.
Diese Thatsaehen beweisen, dass die Resultate der oben erwähnten theoretischen Untersuchungen,
welchen noch andere folgten, *) auch heute, nach 20 Jahren, durchaus noch nicht Gemeingut der Meteoro
logen geworden sind, was theilweise dem Umstande zuzuschreiben ist, dass die betreffenden Abhandlungen,
sei es wegen des Ortes, an welchen sie erschienen, sei es wegen ihrer nur für Mathematiker durchsichtigen
Form, wenig zugänglich geblieben sind. Aber wenn man sich auch des Resultates jener Arbeiten, dass
bei einem in horizontaler Richtung mit der Geschwindigkeit v fortschreitenden Körper, welcher sich in der
Breite q> auf der mit der Winkelgeschwindigkeit w rotirenden Erde befindet, eine senkrecht zur Bahn wirkende
beschleunigende Kraft 2 v « sin q> zur Entwickelung kommt, bewusst ist, so dürfte das Wesen der Erscheinung doch
bis zu einem gewissen Grade unverständlich und die Verwendung des Resultates Fehlern ausgesetzt bleiben.
Deshalb ist im Folgenden der Versuch gemacht, die Mechanik der Luftbewegungen auf der rotirenden Erde
auf rein geometrischem Wege abzuleiten; allein auf das Trägheitsgesetz uns stützend, werden wir durch
konsequente Durchführung ein und derselben Schlussweise direkt zu den Bewegungsgleichungen gelangen,
welche Guldberg und Mohn**) ihren Betrachtungen zu Grunde legen, so dass die vorliegende kleine
Arbeit als eine Brücke zum Verständniss der für die Entwickelung der Meteorologie äusserst wichtigen
Arbeiten dieser Autoren angesehen werden kann.
Im Laufe der Entwicklungen wird deutlich hervortreten, dass die ältere und neuere Anschauung
hinsichtlich des Einflusses der Erdrotation auf die Winde einander zwar nicht widersprechen, dass aber
die ältere nur einen Theil dieses Einflusses erkennt und deshalb in ihrer Anwendung zu vielfach fehler
haften Resultaten führen musste.
Als ein nicht unwichtiger Abschnitt dieser Arbeit dürfte die Untersuchung der „Trägheitskurven“
zu betrachten sein, welche sich als eine sehr brauchbare Basis zur Ableitung sowohl der durch die Rotation
bedingten Kräfte, als auch allgemeiner Gesetze der Luftbewegung erweisen werden.
(Yorbemerkung: Im Folgenden soll stets nur von den Vorgängen auf der nördlichen Hemisphäre, oder — so
lange es sich nur um eine rotirende Scheibe handelt —■ von einer Rotation in dem Sinne die Rede sein, welcher demjenigen
beim Uhrzeiger entgegengesetzt ist. Von vornherein sei übrigens darauf hingewiesen, dass anstatt der durch „Centrifngal-
kraft“ und „ablenkende Kraft der Rotation“ bezeichneten Reaktionen gegen wirkliche äussere Kräfte letztere selbst eingeführt
sind, d, h. diejenigen Kräfte, welche bei beliebig gegebener Bewegungsform die Abweichung derselben von der geraden Linie
ermöglichen.)
1. Die Bewegungen eines Massenpunktes auf einer rotirenden ebenen Scheibe.
Unmittelbar über einer absolut festen Ebene (Papierebene in Fig. 1) sei eine Kreisscheibe S in
gleichförmiger Rotation begriffen, und « bezeichne deren Winkelgeschwindigkeit, d. h. die Länge desjenigen
Bogens, welchen ein Punkt des Kreises vom Radius 1 in einer Sekunde zurücklegt. Dabei soll der Kürze
*) Z. B. Buff, „Einfluss der Umdrehung der Erde auf irdische Bewegungen,“ Ann. der Chemie und Pharm. IV.Supplement
band 1865 und 66. — „Ueber die Art der Einwirkung der Erdrotation auf die Richtung des Windes.“ Annal, der
Chemie und Pharm. VI. Supplementband 1868. — Die neuste und erschöpfendste Behandlung des vorliegenden Gegen
standes ist wohl die von Dr. J. Finger: „Ueber den Einfluss der Erdrotation auf die parallel zur sphäroidalen Erd
oberfläche in beliebigen Bahnen vor sich gehenden Bewegungen, insbesondere auf die Strömungen der Flüsse und
Winde.“ Bd. LXXVI der Sitzb. der Akad. der Wiss. zu Wien, Juni-Heft 1877.
**) Etudes sur les mouvements de l’atmosphère par C. M. Guldberg et H. Mohn. Première partie. Programme de
l’Université pour le 2 e Semestre 1876. Christiania. — Derselbe Gegenstand elementarer behandelt in 4 Artikeln der
Oesterreich, Zeitsehr. für Meteorol. Bd. XH 1877, pag. 49, 177, 257 und 273.